Nach der kontroversen Debatte im Nationalrat befasste sich der Ständerat in der Frühjahrssession 2025 als Zweitrat mit dem indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung (Steuergerechtigkeits-Initiative)». Kommissionssprecher Hans Wicki (fdp, NW) empfahl im Namen der WAK-SR, auf die Vorlage einzutreten. Die knappe Kommissionsmehrheit von 7 zu 6 Stimmen begründete ihre Unterstützung mit verstärkten Beschäftigungseffekten für Zweitverdienende, der daraus resultierenden Linderung des Fachkräftemangels und einer Stärkung der Gleichstellung. Zudem sei die Individualbesteuerung ein praktikables und logisches Modell, das den Prüfaufwand für Steuerbehörden reduzieren werde. Die Kommissionsminderheit, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Mitte und der SVP, lehnte die Vorlage hingegen ab. Sie kritisierte, dass Familien mit nur einem Erwerbseinkommen steuerlich benachteiligt würden und bezweifelte, dass die behaupteten Beschäftigungseffekte tatsächlich in diesem Ausmass eintreten würden. Zudem befürchtete sie erheblichen Mehraufwand für die Steuerverwaltung und drohende Steuerausfälle, die sich gemäss neusten Schätzungen auf CHF 870 Mio. belaufen könnten. In der anschliessenden Eintretensdebatte wurden diese Argumente weiter vertieft, wobei sich Mitglieder der FDP, der SP, der Grünen und der GLP für die Vorlage aussprachen und Mitglieder der Mitte und der SVP dagegen. Der Ständerat stimmte schliesslich mit 23 zu 22 Stimmen für Eintreten.
In der Detailberatung lagen dem Ständerat mehrere Änderungsanträge vor, aus denen vier Differenzen zum Nationalrat resultierten. Eine erste Differenz ergab sich bei den Kinderabzügen, die in der Individualbesteuerung grundsätzlich hälftig auf beide Elternteile aufgeteilt werden. Um zu verhindern, dass ein Abzug bei einem Elternteil mit geringem oder gar keinem Einkommen ungenutzt bleibt, beschloss der Ständerat, den nicht verwendbaren Teil auf den anderen Elternteil zu übertragen. Dieser Antrag der Kommissionsmehrheit wurde mit 32 zu 13 Stimmen angenommen. Die unterlegene Minderheit I Herzog (sp, BS) argumentierte vergeblich, dass diese Regelung dem Grundgedanken der Individualbesteuerung widerspreche, da sie keine Anreize zur stärkeren Erwerbstätigkeit von Zweitverdienenden setze. Eine zweite Abweichung vom Nationalrat betraf die Höhe der Kinderabzüge: Während Nationalrat und Bundesrat eine Erhöhung auf CHF 12'000 vorgesehen hatten, reduzierte der Ständerat diese auf Antrag der Kommissionsmehrheit diskussionslos auf CHF 10'700. Zudem setzte sich ein Antrag der Minderheit II (Herzog) zur Verschärfung der Progression durch, wonach die Einkommensgrenze für den Maximalsatz von 11.5 Prozent gesenkt werden soll, um die künftigen Steuerausfälle auf CHF 380 Mio. zu begrenzen. Schliesslich wurde ein Einzelantrag Würth (mitte, SG) angenommen, mit dem systematische Brüche beim Übergang zur Individualbesteuerung vermieden werden sollen.
Schliesslich stimmte der Ständerat in der Gesamtabstimmung mit 23 zu 21 Stimmen für Annahme des indirekten Gegenvorschlags, wobei wiederum die Vertreterinnen und Vertreter der SVP und Mitte unterlagen. Damit folgte er knapp dem Entscheid des Nationalrats, der sich nun wieder mit der Vorlage auseinandersetzen wird. Stillschweigend stimmte der Ständerat ebenfalls dem Antrag des Bundesrates zu, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: Mo. 04.3276, Mo. 05.3299, Mo. 10.4127, Po. 11.3545, Po. 14.3005, Mo. 16.3044, Po. 21.3284.
Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung (Steuergerechtigkeits-Initiative) und indirekter Gegenvorschlag (BRG 24.026)
Dossier: Reform der Ehe- und Familienbesteuerung seit 2000 – Gemeinschaftsbesteuerung oder Individualbesteuerung?