Réinitialiser la recherche

Contenu

Acteurs

  • Reimann, Lukas (svp/udc, SG) NR/CN

Processus

123 Résultats
janvier 1965 janvier 2026
1965
1971
1977
1983
1989
1995
2001
2007
2013
2019
2026
Sauvegarder en format PDF Pour plus d'information concernant l'utilisation de la requête cliquer ici

Une initiative parlementaire déposée par Lukas Reimann (udc, SG) vise la réhabilitation des Suisses qui ont combattu l'Etat islamique durant la guerre en Syrie pour défendre la démocratie. L'agrarien pense en particulier à un certain Johan Cosar qui avait été condamné pénalement, malgré son engagement «désintéressé» selon le député agrarien. Le conseiller national souhaite reconnaître les actions généreuses effectuées au service des valeurs fondamentales de la démocratie avec cet objet.
Par 15 voix contre 9 et 1 abstention, la CAJ-CN s'est positionnée contre l'initiative parlementaire. Elle a estimé que l’interdiction de participer en tant que volontaire à des combats menés par des forces étrangères est un principe fondamental du droit suisse. La CAJ-CN considère que les réhabilitations constitueraient une reconnaissance politique indésirable du mercenariat dans des conflits en cours.

Réhabiliter les Suisses qui ont combattu l'EI pour défendre la démocratie (Iv.Pa. 24.415)

Le député agrarien Lukas Reimann (SG) a déposé une motion au Conseil national demandant qu'il soit, via leur contrat de travail, interdit aux collaborateurs et collaboratrices de la SSR, ayant des apparitions médiatiques publiques, de s'engager politiquement au niveau national. Cette restriction s'appliquerait durant la période d'embauche définie par le contrat ainsi que les 4 années qui suivent la fin d'un contrat. Il a argumenté que cette mesure vise à la production de contenu plus objectif et profite ainsi à la démocratie.
Le Conseil fédéral a rejeté cette motion, qui s'oppose à la liberté de droits politiques qui est accordée à tous les Suisses. Dans son argumentaire, le gouvernement a aussi rappelé que les mesures actuelles répondent en partie à la motion, vu que les collaborateurs et collaboratrices de la SSR doivent quitter leur poste s'ils ou elles accomplissent un mandat politique. Le Conseil national a rejeté la motion par 129 voix contre 66. Isolé, l'UDC a composé la minorité.

Obligation de se récuser pour les collaborateurs de la SSR intervenant dans les médias publics (Mo. 22.3926)

Im Dezember 2023 reichte SVP-Nationalrat Lukas Reimann (SG) die parlamentarische Initiative «Gemeindetageskarten erhalten» ein. Der Initiant forderte, dass den Gemeinden im Personenbeförderungsgesetz weiterhin die Möglichkeit gegeben werden soll, vergünstigte Tageskarten zum Preis von CHF 40 anzubieten. Die Gemeindetageskarten seien bis zur Einstellung des Angebots Ende 2023 sehr beliebt gewesen und hätten einen wichtigen Beitrag zur umweltfreundlicheren Mobilität und zur Attraktivität des öffentlichen Verkehrs geleistet. Das neue Alternativangebot «Spartageskarte Gemeinde» sei zu teuer für die Gemeinden, biete schlechtere Konditionen und würde laut Reimann wohl weniger genutzt.

Die vorberatende KVF-NR kam hingegen zum Schluss, dass das Nachfolgeprodukt «Spartageskarte Gemeinde» eine gute Alternative zu den bisherigen Gemeindetageskarten biete. Die neuen Spartageskarten könnten digital bezogen werden, seien unabhängig vom Wohnort und würden für die Gemeinden kein finanzielles Risiko mehr bedeuten. Zudem lehne die Kommission die Festschreibung von Produkten und Preisen im Gesetz ab. Die Kommission gab der Initiative somit mit 22 zu 1 Stimmen bei 2 Enthaltungen keine Folge.

Der Nationalrat schloss sich nach Voten des Initianten Reimann und des Kommissionsberichterstatters Matthias Jauslin (fdp, AG) seiner Kommission an und gab der parlamentarischen Initiative mit 125 zu 47 Stimmen (14 Enthaltungen) keine Folge. Unterstützt wurde die parlamentarische Initiative lediglich von einer Mehrheit der SVP-Fraktion sowie von zwei Stimmen aus der Mitte- und einer Stimme aus der SP-Fraktion. Reimanns Anliegen war somit erledigt.

Gemeindetageskarten erhalten

Weil die SPK-NR Ende April 2024 mit 15 zu 8 Stimmen bei 1 Enthaltung der parlamentarischen Initiative von Lukas Reimann (svp, SG) keine Folge geben wollte, musste das Geschäft in der Sommersession 2024 im Nationalrat in die Vorprüfung. Der Initiant begründete dort seine Forderung, dass Volk und Stände über dringlich erklärte Bundesgesetze entscheiden können müssen, mit dem Argument, dass die Stimmbevölkerung im Falle von dringlich erklärten Gesetzen ausgeschlossen werde und so faktisch keine direkte, sondern eine repräsentative Demokratie vorherrsche. Mit einem obligatorischen Referendum, das 100 Tage nach Annahme eines dringlichen Bundesgesetzes durch das Parlament durchgeführt werden müsse – ansonsten würde dieses Gesetz ausser Kraft treten –, könne die direktdemokratische Komponente gestärkt werden. Reimann bezog sich in seinen Ausführungen auch auf die mittlerweile im Unterschriftenstadium gescheiterte sogenannte Giacometti-Initiative, die das gleiche Ziel verfolgt hatte, wie die seine parlamentarische Initiative.
Nina Schläfli (sp, TG) und Giorgio Fonio (mitte, TI) berichteten in der Folge für die Kommissionsmehrheit. Im Moment sei ein obligatorisches Referendum dann vorgesehen, wenn dringliche Bundesgesetze ohne Verfassungsgrundlage länger als ein Jahr gelten. Gegen alle anderen dringlichen Gesetze könne das fakultative Referendum ergriffen werden. Die Kommission habe die «grundlegenden demokratischen Fragen» gewürdigt, die im Zusammenhang mit Notrecht gestellt werden müssten, sei aber zum Schluss gekommen, dass es in Krisensituationen nicht ohne dringliche Gesetze gehe. Obligatorische Abstimmungen würden das Parlament dabei in sowieso schon schwierigen Situationen noch weiter behindern. Zudem sei ein Ständemehr, das mit einem obligatorischen Referendum erreicht werden müsste, unverhältnismässig. Schliesslich seien 100 Tage Zeit sowohl für die Organisation einer Abstimmung als auch für die individuelle Meinungsbildung eine Herausforderung. Im Krisenfall müsste zudem unter Umständen mit zahlreichen Abstimmungsterminen gerechnet werden, was nicht nur negative Auswirkung auf die Stimmbeteiligung, sondern damit letztlich auch auf die Qualität der Entscheidungen haben könnte, so Schläfli und Fonio in ihren Ausführungen.
Nach den beiden Voten der Kommissionssprechenden schritt die grosse Kammer zur Abstimmung. Das Anliegen von Lukas Reimann fand zwar in seiner Fraktion ausnahmslos Unterstützung; alle anderen Fraktionen stimmten aber geschlossen gegen Folgegeben, womit die parlamentarische Initiative mit 129 zu 63 Stimmen erledigt wurde.

Volk und Stände entscheiden über dringlich erklärte Bundesgesetze! (Pa.Iv. 23.424)

Mit einer Motion forderte Lukas Reimann (svp, SG) vom Bundesrat, den nationalen Sprachaustausch innerhalb der Schweiz stärker zu fördern. Wie Reimann in der Nationalratsdebatte in der Sondersession vom April 2024 erläuterte, sei das Verständnis zwischen den Sprachregionen wichtig für den Zusammenhalt des Landes und stelle für Jugendliche auch in beruflicher Hinsicht einen wichtigen Skill dar. Konkret brauche es mehr Angebote innerhalb der Schweiz im Stil des Angebots «Italiando» und weniger Angebote im Ausland, wie sie die Agentur «Movieta» im Namen des Bundes anbiete, forderte der St. Galler. Wie Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider erläuterte, unterstütze der Bundesrat den nationalen Sprachaustausch bereits über die Agentur «Movieta», welche Sprachaustausch nicht nur im internationalen, sondern auch im nationalen Rahmen anbiete. Das BAK leiste zudem bei ausserschulischen Projekten wie dem genannten «Italiando» Hilfe, welches die italienische und die rätoromanische Sprache fördert. Der Bundesrat erachte das Thema aber als wichtig, weshalb es auch Eingang in die Kulturbotschaft 2025–2028 gefunden habe, wo er eine Erhöhung der Mittel für den nationalen Sprachaustausch vorsehe. Die Innenministerin lud den Nationalrat ein, das Thema dort zu diskutieren und die Motion entsprechend abzulehnen. Der Nationalrat hiess die Motion nichtsdestotrotz mit 116 zu 71 Stimmen gut. Die Stimmen gegen das Anliegen stammten jeweils von einer Mehrheit der Fraktionen der FDP.Liberalen und der SVP.

Vier Sprachen - viel Potential: Nationalen Sprachaustausch fördern (Mo. 22.3530)

En juin 2022, le conseiller national Samuel Bendahan (ps, VD) a déposé une motion demandant au Conseil fédéral d'instaurer un système de Chèque Confédéral, qui permettrait d'octroyer un montant fixe aux ménages en fonction de leur composition, lorsque le pouvoir d'achat des ménages de la classe moyenne est gravement affecté. Ces chèques seraient distribués à tous les ménages de la classe moyenne et à ceux à revenu modeste lorsque les prix des biens essentiels augmenteraient au-delà d'un seuil défini. D'après la proposition de l'élu socialiste, ce chèque prévoirait un montant fixe pour chaque adulte et un montant réduit pour chaque enfant au sein des ménages, estimés respectivement à CHF 260 par adulte et CHF 130 par enfant. L'allocation serait progressive, diminuant proportionnellement au revenu imposable des ménages au-dessus d'un certain seuil. En effet, un seuil est indispensble afin d'éviter que ceux dont le revenu est suffisamment élevé pour absorber l'augmentation du coût de la vie bénéficient du chèque. Financé par la Confédération, ce Chèque Fédéral serait distribué par les cantons. Selon Samuel Bendahan (ps, VD), un "Chèque Confédéral" se justifiait en 2022 par une hausse disproportionnée du coût de la vie pour les ménages des classes moyenne et modeste, notamment à cause des hausses de primes d'assurance maladie, des loyers, du prix de l'énergie et des transports.
En août 2022, le Conseil fédéral a proposé de rejeter la motion. Dans sa réponse, l'exécutif a énoncé plusieurs raisons. Premièrement, l'inflation de l'époque était jugée modérée et l'action de la Banque nationale suisse (BNS) suffisante pour réduire la pression inflationniste. Deuxièmement, la reprise économique post-Covid et les prévisions de croissance pour 2022 offraient des perspectives positives à l'économie suisse. Troisièmement, des mesures ciblées et les réseaux de sécurité sociale existants ont été jugés suffisants. Le versement d'un "Chèque Confédéral" à une large partie de la population n'aurait pas été suffisamment ciblé et aurait même pu être contreproductif, en accentuant la pression inflationniste. Enfin, le Conseil fédéral a argumenté qu'il avait soutenu les entreprises et les ménages face à une hausse des prix de l'énergie en promouvant la transition vers des énergies renouvelables et l'efficacité énergétique.
Le 28 janvier 2024, lors du débat, le député Bendahan a commencé par expliquer que le pouvoir d'achat des ménages avait encore empiré depuis 2022, alors que le PIB par habitant a augmenté de CHF 22'000 en vingt ans. Selon le socialiste, le montant par adulte prévu par sa motion représente à peine 1 pourcent de l'augmentation de la productivité par habitant des vingt dernières années. Il a finalement appelé le Parlement à faire un geste pour la population. Le même jour, le conseiller national Jacques Nicolet (udc, VD) est intervenu pour demander au motionnaire qu'elle avait été sa position lors des discussions de la session d'hiver 2023 sur l'augmentation des paiements directs, qui représentaient environ CHF 1500 à CHF 2000 par exploitation agricole et par année. Samuel Bendahan lui a répondu que le pouvoir d'achat de la population inclut celui des agricultrices et agriculteurs, et que ce chèque bénéficierait également à ce secteur. Lukas Reimann (udc, SG) a ensuite pris la parole, pour questionner son collègue socialiste sur le rôle de la gauche dans l'accumulation des dépenses étatiques, selon lui génératrices de dettes et d'une baisse conséquentielle du pouvoir d'avoir d'achat de la population. Le socialiste a rétorqué que la politique du Parlement a toujours été menée par une majorité de droite, et que le reproche devrait plutôt être adressé au côté droit de l'hémicycle. Samuel Bendahan a ensuite plaidé pour un changement et une redistribution plus égalitaire des bénéfices de la productivité nationale. Le Tessinois Paolo Pamini (area liberale, TI) lui a finalement demandé si la diminution du pouvoir d'achat ne serait pas plutôt liée à la croissance du nombre d'habitant.e.s induite par l'espace Schengen. Samuel Bendahan a expliqué qu'il avait ajusté ses chiffres à l'augmentation de la population, et que l'immigration avait amené CHF 200 milliards au PIB en vingt ans.
Le ministre de l'économie Guy Parmelin a clos le débat en expliquant la position du Conseil fédéral, qui ne voit pas la nécessité de prendre des mesures supplémentaires et qui considère cette proposition comme contre-productive. Par 131 voix (UDC, PLR, le Centre, les Vert'libéraux) contre 61 (PS, les Vert-e-s), le Parlement a refusé d'entrer en matière. La motion est donc liquidée.

«Bundesschecks» zum Schutz der Haushalte vor Kaufkraftverlust (Mo. 22.3767)

Christine Badertscher (gp, BE) verlangte mit einem im September 2023 eingereichten Postulat eine umfassende Aufarbeitung der Rolle der Schweiz im Fall Félicien Kabuga, gegen welchen seit September 2022 im Rahmen des IRMCT ein Prozess wegen seiner mutmasslichen Beteiligung am Völkermord in Ruanda läuft. Im geforderten Bericht solle unter anderem der Frage nachgegangen werden, weshalb Kabuga 1994 ungehindert in die Schweiz ein- und ausreisen konnte und weshalb er auf Entscheid des EJPD hin ausgewiesen statt festgenommen wurde. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulats.
Das Postulat wurde in der Frühjahrssession 2024 trotzdem im Nationalrat behandelt, weil es von Lukas Reimann (svp, SG) bekämpft wurde. Reimann stellte die Schuld von Kabuga nicht in Frage und verurteilte die schlimmen Verbrechen, die in den 1990er Jahren in Ruanda passierten. Er wies jedoch darauf hin, dass der Fall Kabuga in Den Haag noch nicht abgeschlossen ist. Es gehe nicht an, dass ein Staat einen zusätzlichen Bericht zu einem laufenden Prozess erstelle. Ausserdem werde die offizielle Schweiz im vorliegenden Postulat als «hauptschuldiges Land» dargestellt, was nicht den Tatsachen entspreche. Justizminister Beat Jans zeigte sich im Namen des Bundesrats der geforderten Aufarbeitung gegenüber jedoch offen. Er betonte, dass sich die Schweiz generell für die Verfolgung von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen stark mache.
Die grosse Kammer stimmte dem Postulat anschliessend mit 128 zu 65 Stimmen zu, wobei die ablehnenden Stimmen aus der SVP-Fraktion stammten.

Fall Félicien Kabuga – welche Rolle spielte die Schweiz? (Po. 23.4287)

In ihrem Bericht begründete die RK-SR, weshalb sie mit 8 zu 0 Stimmen (3 Enthaltungen) die vom Nationalrat noch teilweise gutgeheissene Motion von Lukas Reimann (svp, SG) für eine Justizreform, mit der Gerichtskosten reduziert und die durchschnittliche Verfahrensdauer verkürzt werden, vollständig zur Ablehnung empfehle. Es gehe dabei lediglich um Buchstabe b der Motion, also um die Frage der Verkürzung der Verfahren, da Buchstabe a (die Reduktion der Gerichtskosten), vom Nationalrat bereits abgelehnt worden sei. Mit der Anfang 2023 beschlossenen Änderung der Zivilprozessordnung sei die Verkürzung der Gerichtsverfahren bereits geregelt worden. Es sei verfrüht, mit einer Motion bereits wieder eine neue Revision anzustossen.
Nachdem Céline Vara (gp, NE) in der Wintersession 2023 die ablehnende Haltung der Kommission und Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider jene des Bundesrats erörtert hatten, lehnte der Ständerat das Begehren stillschweigend ab.

Eingeschränkter Zugang zur Justiz. Recht und Gerechtigkeit für alle sicherstellen! (Mo. 21.3388)

Im Gegensatz zu Parlamentarierinnen und Parlamentariern auf kantonaler und nationaler Ebene genössen Mitglieder von Gemeindeparlamenten bei der Ausübung ihres Mandats anscheinend keine Immunität, was Strafklagen gegen Gemeindepolitikerinnen und Gemeindepolitiker, die «in jüngerer Vergangenheit» aufgrund deren Äusserungen erhoben worden seien, deutlich machten, begründete Raphaël Mahaim (gp, VD) seine parlamentarische Initiative. Mit dieser wollte er es den Kantonen ermöglichen, Immunität auch für Gemeindepolitkerinnen und -politiker vorzusehen.

Eine knappe 12 zu 9-Mehrheit (3 Enthaltungen) der RK-NR empfahl Ende August 2023, der Initiative keine Folge zu geben. In ihrem Bericht machte die Kommission darauf aufmerksam, dass eine Umsetzung der Initiative zu einer Ungleichbehandlung zwischen Gemeinden mit Parlament und solchen mit einer Gemeindeversammlung führen würde. Das sogenannte «Wortprivileg» würde entsprechend nur Parlamentsmitgliedern, nicht aber Teilnehmenden an Gemeindeversammlungen erteilt. Zudem müssten Gemeinden wohl aufwändige Verfahren einführen, um jeweils entscheiden zu können, wann und wie die Immunität aufgehoben werden könnte. Die starke links-grüne Kommissionsminderheit machte hingegen geltend, dass eine unterschiedliche Behandlung von Parlamentsmitgliedern unterschiedlicher föderaler Stufen nicht gerechtfertigt erscheine.

In der Ratsdebatte während der Wintersession 2023 berichtete der Initiant über zwei Fälle im Stadtparlament Lausanne, bei denen die Strafverfahren zu Einschränkungen der beiden Parlamentarier geführt hätten. Der Minderheitensprecher Nicolas Walder (gp, GE) führte weiter aus, dass die demokratische Debatte gefährdet sein könnte, wenn Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf Gemeindeebene aus Furcht vor Anklagen nicht mehr alle Argumente vorbringen würden. Auch wenn die beiden berichteten Fälle letztlich zu Freisprüchen geführt hätten, müsse man eine Selbstzensur verhindern. Kommissionssprecher Lukas Reimann (svp, SG) wies neben den bereits im Bericht aufgeführten Gründen darauf hin, dass eine Motion mit einem ähnlichen Anliegen vor einigen Jahren schon einmal versenkt worden sei. Er äusserte wohl vor allem mit Blick auf die neuen Parlamentsmitglieder diesbezüglich eine Bitte: «Weil wir noch am Anfang der Legislatur sind: Man sollte sich vielleicht überlegen, ob man einen Vorstoss einreichen will, wenn vor wenigen Jahren ein Vorstoss mit dem genau gleichen Inhalt eingereicht und deutlich abgelehnt wurde». Sidney Kamerzin (mitte, VS), der ebenfalls für die Kommissionsmehrheit berichtete, führte zudem aus, dass in der GK diskutiert worden sei, dass die Abschaffung der föderalen Ungleichbehandlung nicht nur mit einer neuerlichen Ungleichbehandlung zwischen Parlamentsmitgliedern und Gemeindeversammlungsteilnehmenden einhergehe, sondern auch den «effet pervers» haben könnte, dass der Ton in der lokalen Politik aufgrund der gewährten Immunität vor allem bei wichtigen lokalen Angelegenheiten gemeiner und rüder werden könnte, was sicherlich nicht Absicht sein könne. Die Abstimmung, bei der eine 128 zu 59-Mehrheit der Initiative keine Folge geben wollte, zeigte einen markanten Graben zwischen dem befürwortenden Lager von Links-Grün und den restlichen, geschlossen gegen Folge geben votierenden Fraktionen. Die parlamentarische Initiative war damit vom Tisch.

Immunität für Gemeindepolitkerinnen und -politiker (Pa.Iv. 23.420)

Mitte Oktober 2023 gab die Bundeskanzlei bekannt, dass der Unterschriftenbogen für die Volksinitiative «Für den wirksamen Schutz der verfassungsmässigen Rechte» (Souveränitätsinitiative) gültig ist und somit mit der Unterschriftensammlung begonnen werden kann. Diese Initiative, eingereicht von einem Komitee rund um den Präsidenten von Mass-voll, Nicolas Rimoldi, und den Co-Präsdidenten der «Freunde der Verfassung», Roland Bühlmann, verlangte, dass die Schweiz keine völkerrechtlichen Verträge abschliessen darf, welche die Grundrechte tangieren. Ebenfalls verboten wären Staatsverträge, bei denen sich die Schweiz an die Rechtsprechung anderer Staaten oder supranationaler Organe halten müsste – mit Ausnahme des Internationalen Gerichtshofs und des Internationalen Strafgerichtshofs. Bereits bestehende rechtliche Verpflichtungen sollen zudem darauf überprüft werden, ob die genannten Erfordernisse eingehalten werden. Im Initiativkomitee nahmen auch Mitglieder der SVP-Nationalratsfraktion Einsitz, so etwa Lukas Reimann (svp, SG) oder Andreas Glarner (svp, AG). Die Sammelfrist für die 100'000 Unterschriften dauert bis April 2025.

Für den wirksamen Schutz der verfassungsmässigen Rechte (Souveränitätsinitiative)

In der Sommersession 2023 befasste sich der Nationalrat mit der Volksinitiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit». Die beiden Sprechenden der RK-NR, Patricia von Falkenstein (ldp, BS) und Baptiste Hurni (sp, NE), führten dabei aus, wieso sich die Kommissionsmehrheit für die Zustimmung zum bundesrätlichen Entwurf – sprich für die Ablehnung der Initiative – aussprach. So sei die körperliche und geistige Unversehrtheit insbesondere bereits im geltenden Grundrecht verankert, während die Volksinitiative respektive deren Umsetzung mit einer grossen Rechtsunsicherheit einhergehe, da das Volksbegehren über «erhebliche materielle und rechtliche Mängel» verfüge. Zudem würde die Initiative generell das Gewaltmonopol des Staates aushöhlen, etwa in den Bereichen Polizei und Asylwesen, wo es oft zu Einwirkungen auf den menschlichen Körper komme. Eine Reihe von Sprechenden aus der SVP-Fraktion widersprach dieser Einschätzung. Pirmin Schwander (svp, SZ) etwa war der Ansicht, dass während der Covid-19-Pandemie ersichtlich geworden sei, dass die bestehende Gesetzeslage nicht ausreiche, um die körperliche und geistige Unversehrtheit zu schützen. Der mangelhaften Formulierung der Initiative wollte Schwander mittels zweier Minderheitsanträge auf Rückweisung an die Kommission zur Ausarbeitung eines indirekten Gegenvorschlags (Minderheit I) respektive eines direkten Gegenentwurfs (Minderheit II), welche konkret Impfungen und biomedizinische Verfahren zum Inhalt hätten, begegnen. Eine Minderheit Addor (svp, VS) beabsichtigte, die Selbstbestimmung betreffend Impfungen und anderen medizinischen Biotechnologien durch einen bereits von der Minderheit verfassten direkten Gegenentwurf zu gewährleisten, wobei soziale, berufliche und auch andere Diskriminierung verboten werden sollte. Lukas Reimann (svp, SG) schliesslich beantragte in einem weiteren Minderheitsantrag, die Initiative zur Annahme zu empfehlen, falls ein Gegenentwurf abgelehnt würde. Er persönlich halte zwar eine Impfung für vernünftig, es könne aber nicht sein, dass der Staat vorgebe, «was vernünftig ist und was nicht vernünftig ist».
Mit dieser Meinung blieben die Mitglieder der SVP-Fraktion allerdings alleine. Vertreterinnen und Vertreter der anderen Parteien konnten weder der Initiative noch den Minderheitsanträgen viel abgewinnen. Die Sprechenden der anderen Fraktionen verwiesen unter anderem ebenfalls auf die Probleme mit dem Gewaltmonopol – gemäss Nicolas Walder (gp, GE) könnten nach Annahme der Volksinitiative etwa Serienmörder nicht mehr festgenommen werden und Beat Flach (glp, AG) hob hervor, dass durch die Initiative das individuelle Interesse in jedem Fall stärker gewichtet würde als das Interesse der Gesamtgesellschaft, zu der auch schwache und vulnerable Personen zählten. Philipp Bregy (mitte, VS), der sich gegen den Gegenvorschlag von Addor aussprach, argumentierte, dass es keiner besseren Formulierung bedürfe, weil die vom Volksbegehren geforderte Regelung nicht benötigt werde.
Was sich bereits während der offenen Debatte abzeichnete, bestätigte sich nach dem obligatorischen Eintreten in den Abstimmungen: Mit 137 zu 39 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) wurde die erste Minderheit Schwander, die sich zuvor gegen die zweite Minderheit Schwander durchgesetzt hatte, verworfen. Auch der von Addor eingebrachte bereits formulierte Gegenentwurf war chancenlos (40 zu 138 Stimmen bei 5 Enthaltungen). Zum Schluss sprach sich die grosse Kammer mit 140 zu 35 Stimmen (bei 8 Enthaltungen) deutlich gegen die Volksinitiative aus. Dabei stammten sämtliche Stimmen, welche das Volksbegehren unterstützten, sowie alle Enthaltungen aus den Reihen der SVP-Fraktion. Abgesehen von einer Enthaltung aus der FDP-Fraktion bei der Abstimmung zur ersten Minderheit Schwander entspricht dieses Abstimmungsverhalten auch denjenigen bei den anderen beiden Abstimmungen.

Initiative «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit» (BRG 22.075)

Gemeinnützige Organisationen sollen zukünftig den Rechnungslegungsstandard «Swiss GAAP FER» einhalten müssen, wenn ihnen staatliche Beiträge oder Steuerbefreiungen gewährt werden sollen, forderte Lukas Reimann (svp, SG) in einer im Mai 2021 eingereichten Motion. Diese Rechnungslegungsstandards beinhalteten gemäss dem Motionär spezifische Branchenregelungen unter anderem für Nonprofit-Organisationen. Relevant seien insbesondere die individuellen Entschädigungen der Mitglieder der oberen Leitungsorgane und der Führungskräfte dieser spendenfinanzierten Organisationen.
In seiner Stellungnahme vom Juni 2021 beantragte der Bundesrat, die Motion abzulehnen. Auch mittlere und kleine gemeinnützige Organisationen zur Einhaltung dieses Rechnungslegungsstandards zu verpflichten, sei unverhältnismässig, da dies mit hohem Aufwand verbunden wäre. Zudem sei eine Steuerbefreiung bereits heute nur möglich, wenn Führungskräfte «grundsätzlich ehrenamtlich» tätig seien.
In der Sondersession vom Mai 2023 lehnte der Nationalrat den Vorstoss mit 116 zu 72 Stimmen (bei 5 Enthaltungen) ab. Nur die Mitglieder der SVP- und die Mehrheit der Mitte-Fraktion unterstützten das Anliegen.

Motion "Angemessene Cheflöhne und Transparenz für gemeinnützige Organisationen" (Mo. 21.3587)

In Form einer Motion verlangte Lukas Reimann (svp, SG) in der Sommersession 2022, dass in Parlamentsdebatten neu auch Schweizerdeutsch gesprochen werden kann. Für ihn sei Schweizerdeutsch nicht nur die Muttersprache der Deutschschweizer Bevölkerung, sondern auch ein Teil der Schweizer Identität. Deswegen würde sein Anliegen eine den Bürgerinnen und Bürgern nähere Politik ermöglichen. Zudem gäbe es bereits kantonale Parlamente, welche dies erlauben würden, argumentierte der St. Galler. In der Folge löcherten verschiedene lateinischsprachige Ratsmitglieder Reimann mit Fragen, was im Saal für einige Heiterkeit sorgte: So wollte etwa Ada Marra (sp, VD) wissen, weshalb die Romands Schweizerdeutsch lernen sollten, die Deutschschweizer aber nicht Französisch. Kommissionssprecher Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) verdeutlichte mit dem Walliserdeutschen Gedicht «Abusitz», das es sogar für Deutschschweizer Personen, die nicht mit dem Walliser Dialekt vertraut sind, schwierig wäre, Voten in Dialektsprache zu verstehen. So werde beispielsweise eben auch im Walliser Kantonsparlament Französisch und Hochdeutsch gesprochen. Thomas Aeschi (svp, ZG) begründete seinen Minderheitsantrag zur Annahme der Motion damit, dass neue Spracherkennungssoftware mittlerweile sehr gut Schweizerdeutsch erkenne und ins Hochdeutsche übersetzen könne, womit das Anliegen durchaus umsetzbar wäre. Mit 164 zu 20 Stimmen (bei 2 Enthaltungen) lehnte der Nationalrat den Vorstoss ab, die 20 Stimmen für die Vorlage stammten von Mitgliedern der SVP-Fraktion.

Sprachenvielfalt der Schweiz stärken - auch im Nationalrat (Mo. 22.4464)

In der Frühjahrssession 2023 zitierte Lukas Reimann (svp, SG) eines von «hunderten Beispielen aus der Praxis», die zeigten, dass sich viele Menschen den Gang vor Gericht nicht leisten könnten: Ein Kranführer, der abklären wollte, wer für einen Unfall haftet, in den er verwickelt war, hätte CHF 18'000 Vorschuss leisten müssen; hätte er seinen Fall bis vor Bundesgericht bringen wollen, hätte er im schlimmsten Fall Prozesskosten von rund CHF 342'000 zahlen müssen. «Das kann sich kein normaler Mensch leisten», kritisierte Reimann. In einer Motion verlangte er deshalb eine Justizreform, mit der Gerichtskosten reduziert und die durchschnittliche Verfahrensdauer verkürzt werden. Der Zugang zu den Gerichten sei in der Tat ein Grundrecht, begann Justizministerin Elisabeth Baume-Schneider ihr Votum. Die von der Motion aufgebrachte Problematik sei aber bereits Gegenstand in der momentan in Beratung stehenden Vorlage zur Revision der Zivilprozessordnung. Zudem seien Tarife und Verfahrensregeln auf subnationaler Ebene vor allem Sache der Kantone, weshalb der Bund hier nicht eingreifen könne. In der Folge wurde über die beiden Teile der Motion getrennt abgestimmt. Die Kostenfrage (Buchstabe a) wurde mit 71 zu 114 Stimmen (2 Enthaltungen) verworfen, die Forderung, laut der sich der Bundesrat für eine Verkürzung der Verfahrensdauer einsetzen muss (Buchstabe b) wurde jedoch mit 121 zu 56 Stimmen (11 Enthaltungen) an den Ständerat überwiesen. Die SP- und die GP-Fraktion stimmten für Annahme beider Buchstaben. Während Buchstabe a ansonsten nur noch von vier Mitgliedern der SVP-Fraktion unterstützt wurde, sprach sich die geschlossen stimmende SVP-Fraktion für Buchstabe b aus.

Eingeschränkter Zugang zur Justiz. Recht und Gerechtigkeit für alle sicherstellen! (Mo. 21.3388)

Ursprünglich hatte die SPK-NR der parlamentarischen Initiative von Lukas Reimann (svp, SG), die die Sicherstellung einer beschlussfähigen Bundesversammlung verlangte, Mitte 2021 noch einstimmig zugestimmt. Weil aber die SPK-SR im April 2022 dem Anliegen keine Folge gegeben hatte und vor allem weil das Anliegen mittlerweile auch in eine grössere Vorlage zur Steigerung der Handlungsfähigkeit des Parlaments in Krisenzeiten aufgenommen worden war, änderte die nationalrätliche Kommission ihre Meinung. In dieser neuen Vorlage war unter anderem vorgesehen, dass in Krisenfällen andere Tagungsorte für Sessionen beschlossen werden können und dass in Ausnahmesituationen auch virtuelle Teilnahmen an Session möglich sein sollen. Nachdem diese Forderungen der Initiative Reimann also umgesetzt waren, empfahl die Kommission Mitte Januar 2023 einstimmig, der Initiative keine Folge zu geben. Der Initiant zog sie wenige Tage nach dieser Entscheidung zurück.

Beschlussfähige Bundesversammlung sicherstellen (Pa. Iv. 20.479)
Dossier: Le Parlement en situation de crise

Der Nationalrat beugte sich in der Wintersession 2022 als Zweitrat über die Revision des Sexualstrafrechts. Wie bereits in der Ständekammer wurde das Ziel des Revisionsprojekts, das in die Jahre gekommene Sexualstrafrecht an die veränderten gesellschaftlichen Wertvorstellungen anzupassen, auch im Nationalrat allseits begrüsst. Eintreten war somit unbestritten.

Die Debatte um den umstrittensten Punkt der Vorlage, die Modellwahl zwischen «Nur Ja heisst Ja» und «Nein heisst Nein», fand in der grossen Kammer im Vergleich zum Ständerat unter umgekehrten Vorzeichen statt: Während sich in der Kantonskammer eine Minderheit der Kommission erfolglos für die Zustimmungslösung ausgesprochen hatte, beantragte im Nationalrat die Mehrheit der vorberatenden Rechtskommission die Verankerung des «Nur-Ja-heisst-Ja»-Prinzips im Strafgesetzbuch. Gemäss Kommissionssprecherin Patricia von Falkenstein (ldp, BS) wolle man damit klar zum Ausdruck bringen, «dass einvernehmliche sexuelle Handlungen im Grundsatz immer auf der Einwilligung der daran beteiligten Personen beruhen sollen» und «dass Geschlechtsverkehr ohne Einwilligung als Vergewaltigung betrachtet wird». Mit der Zustimmungslösung solle bei der Aufklärung von Sexualdelikten zudem mehr das Verhalten des Täters oder der Täterin in den Fokus rücken, und nicht die Frage, ob und wie sich das Opfer gewehrt habe. Letzteres solle sich nicht schuldig fühlen, wenn es nicht in ausreichendem Mass Widerstand geleistet habe. Demgegenüber fordere die «Nein heisst Nein»-Lösung vom Opfer weiterhin einen zumutbaren Widerstand. Bundesrätin Karin Keller-Sutter argumentierte hingegen, dass das Widerspruchsprinzip klarer sei. Jemand könne auch aus Angst oder Unsicherheit Ja sagen, ohne dies tatsächlich zu wollen, wohingegen ein explizites oder stillschweigendes Nein – etwa eine ablehnende Geste oder Weinen – nicht als Zustimmung missverstanden werden könne. Über ein geäussertes Nein könne das Opfer im Strafverfahren allenfalls aussagen, über ein fehlendes Ja jedoch nicht, denn einen Negativbeweis gebe es nicht, ergänzte Philipp Matthias Bregy (mitte, VS), der mit seiner Minderheit ebenfalls für «Nein heisst Nein» eintrat. Wie schon im Ständerat herrschte derweil auch im Nationalrat weitgehende Einigkeit, dass der Unterschied zwischen den beiden Varianten juristisch gesehen «verschwindend klein» sei, wie es Tamara Funiciello (sp, BE) ausdrückte, und es vor allem um Signale gehe. Während die Advokatinnen und Advokaten der Zustimmungslösung darin eine gesellschaftliche Haltung sahen, die die sexuelle Selbstbestimmung betone, erachteten die Befürworterinnen und Befürworter der Widerspruchslösung das Strafrecht nicht als den richtigen Ort für Symbolik – so fasste Christa Markwalder (fdp, BE) die Positionen in ihrer gespaltenen Fraktion zusammen. Als eine Art Mittelweg bewarb eine Minderheit Nidegger (svp, GE) unterdessen die im Ständerat gescheiterte Umformulierung des Widerspruchsprinzips. Diese wollte durch die explizite Nennung von verbaler und nonverbaler Ablehnung die Fälle von sogenanntem Freezing – wenn das Opfer in einen Schockzustand gerät und dadurch widerstandsunfähig ist – besser abdecken. Bundesrätin Karin Keller-Sutter betonte indes, auch mit der Widerspruchslösung seien Freezing-Fälle abgedeckt und die Minderheit Nidegger bringe somit keinen Mehrwert. Die Minderheit Nidegger unterlag der «Nein-heisst-Nein»-Lösung wie vom Bundesrat vorgeschlagen denn auch deutlich mit 118 zu 64 Stimmen bei 8 Enthaltungen. Ebenso chancenlos blieb die Minderheit Reimann (svp, SG), die statt dem vorgesehenen Kaskadenprinzip in Art. 189 und 190 StGB – einer Definition des Grundtatbestands ohne Nötigung (Abs. 1), wobei Nötigung sowie Grausamkeit als zusätzliche Erschwernisse in den Absätzen 2 und 3 aufgeführt werden – einen eigenen Tatbestand für Verletzungen der sexuellen Integrität ohne Nötigung schaffen wollte, sodass das Nötigungselement in den Tatbeständen der sexuellen Nötigung und der Vergewaltigung erhalten bliebe. Dieses Konzept war allerdings bereits in der Vernehmlassung harsch kritisiert worden. «Nur Ja heisst Ja» setzte sich schliesslich mit 99 zu 88 Stimmen bei 3 Enthaltungen gegen «Nein heisst Nein» durch. Zum Durchbruch verhalfen der Zustimmungslösung neben den geschlossen dafür stimmenden Fraktionen der SP, der Grünen und der GLP Minderheiten aus der FDP- und der Mitte-Fraktion sowie SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz (svp, GE).

Neben der Modellwahl diskutierte die grosse Kammer auch die Strafrahmen ausführlich. Hier hielt sie sich mit einer Ausnahme überall an die Vorschläge ihrer Kommissionsmehrheit und lehnte zahlreiche Minderheitsanträge aus den Reihen der SVP- und der Mitte-Fraktion ab, die schärfere Strafen forderten. Härtere Sanktionen seien ursprünglich das Ziel der Strafrahmenharmonisierung gewesen, wovon auch die vorliegende Revision Teil sei, argumentierte Barbara Steinemann (svp, ZH). Solange «Belästiger mit symbolischen Strafen aus dem Gerichtssaal davonlaufen» könnten, sei auch die Zustimmungslösung nur ein «Ablenkungsmanöver», warf sie der Ratsmehrheit vor. Letztere wollte allerdings den Ermessensspielraum der Gerichte nicht einschränken. Es wurde befürchtet, dass die Gerichte sonst höhere Massstäbe an die Beweiswürdigung setzen könnten und es damit zu weniger Verurteilungen kommen könnte. Eine Mindeststrafe müsse immer «auch den denkbar leichtesten Fall abdecken», mahnte Justizministerin Keller-Sutter. Einzig bei der Vergewaltigung mit Nötigung – dem neuen Art. 190 Abs. 2, der im Grundsatz dem heutigen Vergewaltigungstatbestand entspricht – folgte der Nationalrat mit 95 zu 90 Stimmen bei 5 Enthaltungen der Minderheit Steinemann und übernahm die bereits vom Ständerat vorgenommene Verschärfung. Damit beträgt die Mindeststrafe für diesen Tatbestand neu zwei Jahre Freiheitsstrafe, Geldstrafen sowie bedingte Strafen sind demnach ausgeschlossen. Vergewaltigerinnen und Vergewaltiger müssen damit künftig zwingend ins Gefängnis. Bisher betrug die Mindeststrafe für Vergewaltigung ein Jahr Freiheitsstrafe, wobei diese auch (teil-)bedingt ausgesprochen werden konnte.

In einem zweiten Block beriet die Volkskammer noch diverse weitere Anliegen im Bereich des Sexualstrafrechts. Die Forderung einer Minderheit Funiciello, dass verurteilte Sexualstraftäterinnen und -täter obligatorisch ein Lernprogramm absolvieren müssen, wie dies bei häuslicher Gewalt oder Pädokriminalität bereits der Fall ist, wurde mit 104 zu 85 Stimmen abgelehnt. Da die Art des Delikts nicht berücksichtigt würde, handle es sich um eine «undifferenzierte Massnahme», so Kommissionssprecherin von Falkenstein. Mit 98 zu 84 Stimmen bei 7 Enthaltungen sprach sich der Nationalrat indessen dafür aus, die Altersgrenze für die Unverjährbarkeit von Sexualverbrechen auf 16 Jahre anzuheben. Bislang lag diese bei 12 Jahren, wie es bei der Umsetzung der Unverjährbarkeitsinitiative festgelegt worden war. Die Mehrheit argumentierte, so falle die Grenze für die Unverjährbarkeit mit dem Alter der sexuellen Mündigkeit zusammen. Den neuen Tatbestand der Rachepornografie hiess die grosse Kammer stillschweigend gut, verfrachtete ihn aber in einen anderen Artikel innerhalb des StGB. Anders als der Ständerat nahm der Nationalrat stillschweigend auch einen Tatbestand für Grooming ins Gesetz auf. In der Vernehmlassung sei dieser Vorschlag sehr positiv aufgenommen worden, erklärte die Kommissionssprecherin. Das Anliegen einer Minderheit von Falkenstein, sexuelle Belästigung nicht nur in Form von Wort, Schrift und Bild zu bestrafen, sondern auch andere sexuell konnotierte Verhaltensweisen – beispielsweise Gesten oder Pfiffe – unter Strafe zu stellen, scheiterte mit 96 zu 93 Stimmen knapp. Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnte vor einer «uferlosen Strafbarkeit», da mit der geforderten Ergänzung die Grenze zwischen strafbarem und straflosem Verhalten unklar wäre. Ebenfalls abgelehnt wurde ein Einzelantrag von Léonore Porchet (gp, VD), die ein Offizialdelikt für sexuelle Belästigungen im öffentlichen Raum einführen wollte. Die betroffene Person solle selbst entscheiden können, ob sie eine Strafverfolgung wünsche oder an ihrer Privatsphäre festhalten möchte, argumentierte Justizministerin Keller-Sutter dagegen.

In der Gesamtabstimmung nahm der Nationalrat den Entwurf mit 127 zu 58 Stimmen bei 5 Enthaltungen an. Mit der Ausnahme von Céline Amaudruz stellte sich die SVP-Fraktion geschlossen dagegen. Sie wurde von einigen Stimmen aus der Mitte-Fraktion unterstützt, aus der auch die Enthaltungen stammten. Das Ergebnis war Ausdruck der Enttäuschung des rechtsbürgerlichen Lagers über die ablehnende Haltung des Rats gegenüber Strafverschärfungen. SVP-Vertreterin Steinemann hatte schon in der Eintretensdebatte angekündigt, dass ihre Fraktion die Vorlage ablehnen werde, «sofern nicht deutlich schärfere Sanktionen resultieren».

Harmonisierung der Strafrahmen (BRG 18.043)
Dossier: Harmonisation des peines (partie spéciale du code pénal)
Dossier: Révision du code pénal (2008– )

Im Oktober 2022 wurde unter dem Namen «Pro Schweiz» eine neue nationalkonservative und EU-skeptische Gruppierung aus der Taufe gehoben. Sie ist das Produkt einer Dreierfusion aus der «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (Auns), dem «Komitee Nein zum schleichenden EU-Beitritt (EU-No)» und der «Unternehmer-Vereinigung gegen den EU-Beitritt». Bereits im Frühling hatten die drei Organisationen je separat der Fusion – und damit ihrer Auflösung – zugestimmt.

Zum Gründungspräsidenten von Pro Schweiz wurde Stephan Rietiker (ZG, svp) gewählt, mit 15 Gegenstimmen bei 450 Anwesenden – die einzige Abstimmung an der Gründungsversammlung, die nicht einstimmig ausfiel, wie die NZZ festhielt. Für Rietiker ist das Pro-Schweiz-Präsidium das erste politische Amt: Bisher habe ihm für ein regelmässiges politisches Engagement wegen beruflicher Verpflichtungen die Zeit gefehlt, wie er der AZ erklärte. Nun plane er einen Tag pro Woche für Pro Schweiz einzusetzen, entlöhnt werde sein Präsidium nicht. Der 65-jährige US-schweizerische Doppelbürger ist Medtech-Unternehmer, Arzt, Oberst im Generalstab und ehemaliger kurzzeitiger Präsident des Fussballklubs Grasshoppers. Zu Rietikers parteipolitischem Werdegang wusste die NZZ zu berichten, dass dieser in seinen jungen Jahren die NZZ abbestellte, weil sie ihm «zu links» war, und der Autopartei beitrat. Später sei er FDP-Mitglied, dann parteilos und wieder FDP-Mitglied gewesen, bevor er vor zwanzig Jahren zur SVP wechselte. Ein gewisses politisches Engagement entwickelte Rietiker als Kritiker der behördlichen Covid-19-Politik, im Herbst 2021 kam er zu Medienauftritten im Abstimmungskampf gegen die zweite Revision des Covid-19-Gesetzes. Im Zusammenhang mit diesem Engagement wurde gemäss NZZ Christoph Blocher (ZH, svp), der als graue Eminenz von Pro Schweiz gilt, auf Rietiker aufmerksam und fragte ihn schliesslich für das Pro-Schweiz-Präsidium an.
Mehr politische Erfahrung brachte der Vizepräsident von Pro Schweiz mit: Nationalrat Walter Wobmann (SO, svp) ist insbesondere als Vater der Initiativen für ein Minarettverbot und für ein Verhüllungsverbot bekannt. Wie Wobmann sind auch die meisten weiteren Mitglieder des 13-köpfigen Gründungsvorstands daneben in der SVP aktiv, so unter anderem die Nationalratsmitglieder Piero Marchesi (TI), Pierre-André Page (FR) und Therese Schläpfer (ZH) sowie die alt Nationalräte Adrian Amstutz (BE), Christoph Mörgeli (ZH) und Ulrich Schlüer (ZH). Geschäftsführer wurde Werner Gartenmann, der dieselbe Funktion schon bei der Auns ausgeübt hatte. Angesichts des doch stark parteipolitisch geprägten Vorstands äusserten einige Medien in ihren Kommentaren Zweifel, ob das von Rietiker formulierte Ziel, Pro Schweiz wieder über die SVP hinaus im bürgerlichen Lager abzustützen – wie die Auns in deren Anfangszeiten –, realistisch sei. Auch die angestrebte Verjüngung der Mitgliederbasis fand im Gründungsvorstand – und gemäss Medienberichten auch in der Teilnehmerschaft der Gründungsversammlung – noch keinen Niederschlag. Nicht im Gründungsvorstand sassen Lukas Reimann (SG, svp) und Roger Köppel (ZH, svp), die bisherigen Präsidenten der Auns und des Komitees «EU-No».

Stark betont wurde in den Pressekommentaren die Rolle von Christoph Blocher, der bei Pro Schweiz zwar kein Amt übernahm, aber der Haupttreiber hinter der Fusion gewesen war und auch den Gründungsakt der neuen Organisation leitete. Blocher war 1986 selbst Gründungspräsident der Auns gewesen und hatte diese zu ihrem grösstem Erfolg geführt, nämlich zum Sieg in der EWR-Abstimmung 1992. Auch das 2013 gegründete Komitee «EU-No» hatte Blocher früher präsidiert. Die Fusion bezeichnete er als notwendig, um dem konservativen Lager zu mehr Schlagkraft zu verhelfen; Pro Schweiz solle eine direktdemokratische «Kampforganisation» «gegen die Gegner der Schweiz im Innern» werden. Die Auns hingegen habe zuletzt an Kraft eingebüsst und war nach Blochers Einschätzung nicht mehr referendumsfähig. Nichtsdestotrotz war die Auns mit 20'000 zahlenden Mitgliedern und Einnahmen von rund einer Million Franken pro Jahr die mit Abstand grösste Fusionspartnerin. Pro Schweiz zählte bei ihrer Gründung gemäss NZZ 25'000 Mitglieder.

Dafür, dass sich Pro Schweiz inhaltlich wesentlich anders positionieren würde als die Auns, sahen die Medienkommentare keine Anhaltspunkte; die Fusion wurde als primär organisatorische und personelle Neuaufstellung dargestellt. Allerdings habe sich Rietiker über seine Pläne noch nicht stark in die Karten blicken lassen, sondern in seiner Antrittsrede eher allgemein über die Freiheit, die EU, die Zuwanderung, die «Woke-Kultur», die Medien, die Corona-Massnahmen, das «Gutmenschentum», eine «dilettantische Energiepolitik» des Bundes, die «skandalösen» Sanktionen gegen Russland und eine anzustrebende Orientierung an wachsenden Märkten in Asien und Amerika statt der EU gesprochen. Ein konkretes Projekt beschloss Pro Schweiz indessen gleich noch an der Gründungsversammlung – die Lancierung der Neutralitätsinitiative, welche ihrerseits eine Idee Blochers ist.

Ablösung der Auns durch «Pro Schweiz»

Aufgrund eines Unwohlseins von Nationalrat Lukas Reimann (svp, SG) unterbrach der Nationalrat seine Sitzung zum Embargogesetz während der Herbstsession 2022. Laut Medien war der SVP-Nationalrat gegen 10 Uhr an seinem Platz zusammengebrochen, worauf Nationalratspräsidentin Irène Kälin (gp, AG) die Sitzung unterbrach. SP-Ständerätin Marina Carobbio (sp, TI) und SP-Nationalrat Angelo Barrile (sp, ZH) – beide medizinisch ausgebildet – leisteten erste Hilfe. Nachdem Reimann mit der Ambulanz ins Spital gebracht worden war, nahm der Rat die Verhandlungen wieder auf. Die Nationalratspräsidentin mahnte in der Folge alle Anwesenden, Fotos vom Vorfall zu löschen, und sprach Genesungswünsche aus. Via Twitter teilte Reimann einige Tage später mit, dass es ihm gut gehe und er «keine schwerwiegende Diagnose» erhalten habe.
Ende Oktober 2022 konnte Reimann wieder an einer Kommissionssitzung teilnehmen und wurde in Bern laut Medien sehr herzlich «mit vielen Umarmungen» empfangen. Die Ärzte hätten den Grund für seinen Bewusstseinsverlust nicht gefunden, ein Schlaganfall, ein Herzproblem oder Drogeneinnahme seien aber ausgeschlossen worden, gab der St. Galler den Medien zu Protokoll.

Sitzungsunterbruch wegen Zusammenbruch von Lukas Reimann

Mit einer im Juni 2021 eingereichten parlamentarischen Initiative hatte Lukas Reimann (svp, SG) verlangt, die Gruppierung «Hamas» (Harakat Muqawama Islamiya) durch Aufnahme in die Liste der verbotenen Gruppierungen und Organisationen in Artikel 1 des Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandten Organisationen, zu verbieten. Laut Initiant aberkenne «Hamas» das Existenzrechts Israels, propagiere international antisemitisches Gedankengut, könne bis jetzt Finanzierungstätigkeiten wie Spenden über den Schweizer Rechtsraum abwickeln und die diplomatischen Beziehungen mit der Schweiz aufrecht erhalten. Dies müsse mit einem Verbot verhindert werden, um «keinesfalls weiterhin die mächtige Stellung der Hamas» zu stützen, so der Initiant.
Die sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats empfahl mit 18 zu 7 Stimmen, der Initiative keine Folge zu geben. Sie wies darauf hin, dass ein entsprechender Beschluss gemäss Artikel 74 Abs. 2 des NDG nur anhand eines Verbots- oder Sanktionsbeschlusses der UNO möglich sei. Zudem würde ein Verbot aufgrund der abzubrechenden diplomatischen Beziehungen die guten Dienste der Schweiz in der Region gefährden und schlimmstenfalls zu einer weiteren Radikalisierung führen. Eine Kommissionsminderheit unterstützte Reimann und befürwortete ein Verbot.
Der Nationalrat entschied in der Sommersession 2022, dem Vorstoss mit 125 zu 51 Stimmen bei 2 Enthaltungen keine Folge zu geben. Für ein Verbot hatten die Mitglieder der SVP-Fraktion sowie Einzelstimmen aus der FDP- und Mitte-Fraktion gestimmt. Das Geschäft ist somit erledigt.

Hamas als Terrororganisation verbieten (Pa. Iv. 21.478)
Dossier: Hamas/Gaza/UNRWA

Der Abstimmungskampf zum Referendum gegen den Ausbau des Schweizer Beitrags an die EU-Grenzschutzagentur Frontex wurde in der Westschweizer Öffentlichkeit schon im Januar 2022 lanciert, noch bevor das Referendum zustande gekommen war. In einem Meinungsbeitrag in Le Temps beschrieben Ständerätin Lisa Mazzone (gp, GE) und eine Flüchtlingshelferin die Zustände auf dem Mittelmeer und in Libyen und wiesen vor allem auf die Menschenrechtsverletzungen durch Frontex hin. Wenige Tage darauf meldete sich FDP-Ständerat Damian Müller (fdp, LU) im gleichen Medium zu Wort und kritisierte seine Ratskollegin dafür, in ihrem Beitrag keine Alternativen anzubieten und stattdessen Frontex kategorisch abzulehnen. Er argumentierte überdies, dass fehlende Mittel für Frontex dazu führen könnten, dass es in Europa und der Schweiz zu einer Explosion «irregulärer Überfahrten» von Wirtschaftsmigrantinnen und -migranten kommen würde. Der Frontex-Beitrag sei essentiell, um ein Mindestmass an Kontrolle der Migrationsströme sicherzustellen. Zudem brauche man darüber hinaus eine verstärkte Entwicklungshilfe in den Ursprungsländern der Flüchtenden in Kombination mit besseren Grenzkontrollen durch die Nachbarländer Libyens.

Die deutschsprachigen Medien griffen das Thema erst im Februar grossflächig auf, nachdem das Referendumskomitee am 20. Januar knapp 58'360 Unterschriften – davon 54'377 gültige – eingereicht hatte. Diskutiert wurde in den Medien insbesondere über mögliche interne Konflikte innerhalb der SP und der SVP. Bei der SP orteten die Medien einen Widerspruch zwischen der Ablehnung von Frontex und dem Wunsch nach Beibehaltung des Schengen-Abkommens, bei der SVP hingegen zwischen dem parteilichen Ziel einer restriktiven Migrationspolitik, und somit der Unterstützung von Frontex, bei gleichzeitiger Ablehnung aller Arten von EU-Verträgen. Der Blick sah die «Linke» gar in der «EU-Falle» sitzen, da die Schweiz bei einem Nein nicht nur aus dem Schengen-Dublin-System ausgeschlossen würde, sondern sich in diesem Fall auch die bilateralen Beziehungen mit der EU dramatisch verschlechtern würden. Dabei waren die Auswirkungen einer Ablehnung auf den Verbleib im Schengen-Raum jedoch umstritten. Gemäss EJPD-Vorsteherin Karin Keller-Sutter würde durch ein Nein zum Frontex-Ausbau ein Beendigungsverfahren für das Schengen-Abkommen ausgelöst, welches bei einer fehlenden Einigung nach sechs Monaten den Ausschluss der Schweiz aus Schengen/Dublin zur Folge hätte. Dieser Einschätzung widersprach jedoch der emeritierte Rechtsprofessor Rainer J. Schweizer in der NZZ. Demnach könne der Ausschluss der Schweiz aus Schengen/Dublin nicht gemäss der Guillotineklausel von 2004 vonstatten gehen, da die Schweiz seither rund 370 Rechtsakte der EU übernommen habe. Dies würde folglich einen umfassenden Austrittsvertrag nach dem Vorbild des Brexit-Vertrags vonnöten machen. Dieser Meinung schloss sich die SP (sowie auch die Grünen) an. Ergänzend präsentierte etwa SP-Ständerat Daniel Jositsch (sp, ZH) einen Plan B in Form einer parlamentarischen Initiative, falls die Schweizer Stimmbevölkerung den Frontex-Ausbau tatsächlich ablehnen sollte. Darin schlug er vor, das Schweizer Kontingent der von der UNO anerkannten Flüchtlinge innerhalb der 90 Tage bis zum Schengen-Ausschluss auf 4'000 zu erhöhen, sozusagen als humanitäre flankierende Massnahme zum Frontex-Ausbau. Da die SP die Unterstützung an den Frontex-Ausbau an diese Bedingung gekoppelt hatte, könnte die Schweiz nach der Aushandlung dieser Erhöhung den Frontex-Beitrag dann trotzdem freigeben.
Die Nein-Parole beschloss die SP an ihrem Parteitag mit grosser Mehrheit, wenngleich einzelne Parteiexponentinnen und -exponenten wie Nationalrat Eric Nussbaumer (sp, BL) sich nur halbherzig anschliessen mochten. In den Befragungen im Vorfeld der Abstimmung zeichnete sich jedoch eine SP-interne Spaltung ab: Die Sympathisierenden der SP wollten der Vorlage gemäss einer Ende April durchgeführten Tamedia-Vorumfrage entgegen dem Kurs des Parteipräsidiums und des Parteitags mit fast 53 Prozent zustimmen. Ähnliches spielte sich bei den Grünen ab, bei denen 48 Prozent der Sympathisierenden trotz Nein-Parole der Partei eine Ja-Stimme in Aussicht stellten, wogegen 44 Prozent der Parteileitung zu folgen gedachten. Auch bei den traditionell SP-nahen Organisationen zeigten sich die Auswirkungen dieses inhaltlichen Dilemmas, wie CH Media berichtete. Obwohl das Sekretariat des Gewerkschaftsbundes seinem Vorstand und den Mitgliedern in einem internen Papier Stimmfreigabe vorgeschlagen hatte, da «ein Interessenkonflikt zwischen einer menschenwürdigen europäischen Flüchtlingspolitik und der Personenfreizügigkeit im Rahmen von Schengen» vorliege, beschloss der SGB-Vorstand die Nein-Parole. Hingegen entschied sich der Gewerkschaftsbund gemäss Mediensprecher Gaillard jedoch dagegen, den Abstimmungskampf des Referendumskomitees mitzufinanzieren. Auch andere NGOs wie die SFH, die traditionell die Anliegen der SP unterstützten, taten sich mit der Parolenfassung schwer. SFH-Direktorin Miriam Behrens befürchtete, dass die Schweiz bei einem Nein nicht mehr an der Verbesserung der europäischen Migrationspolitik mitwirken könnte. Andererseits könnte der Ausbau der EU-Agentur die Kontrolle der Mitgliedstaaten erschweren, in deren Kompetenzbereich die meisten Verstösse fielen. Amnesty International verzichtete darauf, sich am Abstimmungskampf zu beteiligen, da die im Referendum betroffenen Bestimmungen nicht die konkreten Bedingungen von Schutzsuchenden oder die Verteidigung der Menschenrechte beträfen.

Am anderen Ende des politischen Spektrums hatte die SVP ebenfalls mit der Beschlussfassung zu kämpfen. Obwohl die Vorlage zum Ausbau des Schweizer Beitrags an Frontex aus dem Departement von SVP-Bundesrat Ueli Maurer stammte, lehnten sie mehrere einflussreiche SVP-Mitglieder von Anfang an ab, darunter Esther Friedli (svp, SG), Lukas Reimann (svp, SG), Marcel Dettling (svp, SZ)) und Marco Chiesa (svp, TI), oder wechselten nach der parlamentarischen Phase aus dem Ja- ins Nein-Lager (Céline Amaudruz (svp, GE) und Roger Köppel (svp, ZH)). Die Südostschweiz berichtete, dass sich die Parteibasis eine Nein-Parole wünsche, was eine unheilige Allianz mit der SP und den Grünen bedeuten würde. Die Vertreterinnen und Vertreter des Nein-Lagers innerhalb der SVP wollten die Gelder lieber an der eigenen Grenze investieren, als diese der Frontex, deren Nutzlosigkeit sich gezeigt habe, zur Verfügung zu stellen. Die Befürworterinnen und Befürworter setzten sich hingegen für mehr Grenzschutz an den EU-Aussengrenzen und weniger «illegale Migration» ein. Es lag daher an der neunköpfigen Parteileitung, eine Empfehlung auszuarbeiten, deren Mitglieder hatten in der Schlussabstimmung im Parlament aber unterschiedliche Positionen vertreten. Die Partei beschloss schliesslich Anfang April 2022 die Ja-Parole und folgte damit nicht zuletzt der Empfehlung ihres verantwortlichen Bundesrats Ueli Maurer.
Bei der Parolenfassung weniger schwer taten sich die Mitte und die FDP, deren Delegiertenversammlungen im Januar (Mitte) und Februar (FDP) klare Ja-Parolen ausgaben.

Mitte März trat erstmals das Referendumskomitee «No Frontex» an die Öffentlichkeit. Das Komitee lehnte nicht nur die Erhöhung des Beitrags, sondern die Grenzschutzagentur als Ganzes ab, weil diese «ohne jegliche demokratische Kontrolle der Mitgliedstaaten» agiere, berichtete die Tribune de Genève. Mitte April versuchten die Frontex-Gegnerinnen und -Gegner mit Demonstrationen und anderen öffentlichen Anlässen, die Stimmbevölkerung für die Thematik zu sensibilisieren.

In der Folge äusserten sich aber auch zahlreiche Befürworterinnen und Befürworter öffentlich zu Wort. Während sich die Frontex-Gegnerinnen und -Gegner auf humanitäre Argumente stützten, wandten sich Wirtschaftsorganisationen mit ökonomischen Bedenken an die Öffentlichkeit. So gründete der Tourismussektor im April ein Ja-Komitee, da dieser bei einer Ablehnung der Vorlage den Ausschluss aus dem Schengen-Visa-Raum befürchtete. Dadurch bräuchten Touristen aus Fernmärkten ein separates Visum für einen Aufenthalt in der Schweiz, was die Attraktivität einer Schweiz-Reise drastisch senken würde, begründete STV-Direktor Philipp Niederberger die Ängste der Branche. Hotelleriesuisse rechnete mit Einbussen von bis zu CHF 188 Mio. pro Jahr und der Bundesrat erwartete jährliche Ausfälle von jährlich maximal CHF 500 Mio. Franken für den Schweizer Tourismus. Doch nicht nur wirtschaftliche Bedenken wurden vorgebracht, KKJPD-Präsident Fredy Fässler (sp, SG) warnte davor, bei einem Nein zum Frontex-Beitrag vom Sicherheitssystem der EU abgehängt zu werden, was für die Polizeiarbeit hochproblematisch wäre.

Ebenfalls im April, also knapp einen Monat vor der Abstimmung, wurde bekannt, dass OLAF – die Antibetrugsbehörde der EU – in einem geheimen Bericht mehrfache Verfehlungen durch Frontex-Verwaltungsräte festgestellt hatte. Die Frontex-Spitze um Direktor Fabrice Leggeri sei demnach in Mobbing und illegale Pushbacks – also in illegale Ausweisungen oder Rückschiebungen von Migrantinnen und Migranten unmittelbar vor oder nach dem Grenzübertritt, ohne dass diese die Möglichkeit hatten, einen Asylantrag zu stellen – verwickelt gewesen. Nach Veröffentlichung dieser Vorwürfe verweigerte der Haushaltsausschuss des EU-Parlaments Frontex die Décharge. Auch der Vorsitzende des Frontex-Verwaltungsrats, Marko Gasperlin, gab in einem Blick-Interview zu Protokoll, dass in bestimmten Fällen «absolut falsch gehandelt» worden sei, auch wenn das Frontex-System im Grossen und Ganzen funktioniere. Zwei Wochen vor dem Abstimmungstermin bat der umstrittene Frontex-Chef Fabrice Leggeri seinen Rücktritt an, der vom Verwaltungsrat gleichentags akzeptiert wurde. Leggeri wurde nicht nur für die zahlreichen nachgewiesenen Pushbacks verantwortlich gemacht, er wurde auch des Missmanagements und des Mobbings bezichtigt. Unklar war, wie sich diese Nachricht auf die Volksabstimmung auswirken würde. Einerseits bestätige der Rücktritt die Kritik an der Grenzagentur, andererseits sei er Zeugnis einer gewissen Reformbereitschaft, argumentierte der Tages-Anzeiger. Letzterer Interpretation schloss sich das EFD an. Eine Sprecherin erklärte, dass Frontex nun das angeschlagene Vertrauen zurückgewinnen könne und dass sich gezeigt habe, dass die Aufsichtsmechanismen funktionierten.

Eine Tamedia-Meinungsumfrage vom 4. Mai machte jeglichen Anflug von Spannung hinsichtlich des Ausgangs der Abstimmung zunichte, denn eine grosse Mehrheit der Befragten (64%) wollte ein Ja an der Urne einlegen. Auf eine deutliche Annahme der Vorlage am 15. Mai deuteten nicht nur die Meinungsumfragen, sondern auch die Auswertung der Zeitungs- und Inserateanalyse von Année Politique Suisse hin. Während das Ja-Lager in den untersuchten Printmedien rund 120 Inserate publizieren liess, fand quasi keine Gegenkampagne statt (ein einzelnes Kontra-Inserat während der ganzen Untersuchungsperiode). Die Pro-Inserate warnten vor allem davor, dass ein Nein die Sicherheit der Schweiz, die Reisefreiheit und die Schweizer Wirtschaft bedrohen würde. Einen direkten Zusammenhang zum oftmals genannten Ausschluss der Schweiz aus Schengen/Dublin machten nur 35 Prozent der Inserate, also deutlich weniger als drei Jahre zuvor beim Referendum zur Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie.

Übernahme und Umsetzung der Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache (Frontex; BRG 20.064)
Dossier: Participation de la Suisse à l'élargissement de Frontex

In der Sondersession im Mai 2022 nahm die grosse Kammer mit knappen 97 zu 92 Stimmen eine Motion der Mitte-Fraktion betreffend die Reduktion der wirtschaftlichen Abhängigkeit von internationalen Liefer- und Produktionsketten bei essenziellen Gütern an. Die Covid-19-Pandemie habe aufgezeigt, wie verletzlich und abhängig die inländische Wirtschaft und die Gesundheitsversorgung von globalen Prozessen seien, argumentierte die Mitte. Einerseits soll durch Massnahmen des Bundesrates die Versorgung für eine allfällige nächste Krise gestärkt werden und andererseits eine vermehrte inländische Produktion bei essenziellen Gütern – namentlich in der Pharmaindustrie – in Betracht gezogen werden, so die Forderungen des Vorstosses.
Der Bundesrat hatte im Vorfeld der Debatte dafür plädiert, die Motion abzulehnen. Er erachtete die Motion als verfrüht und wollte vorerst eine Gesamtschau im Rahmen des Postulats Reimann (svp, SG; Po. 20.3433) und der Motion Burgherr (svp, AG; Mo. 20.3197) vornehmen. Im spezifischen Fall von Medikamenten sei der Bundesrat daran, einen Bericht über derzeitige Gefahren und mögliche Massnahmen auszuarbeiten, wie er bereits im Rahmen einer Motion der SGK-SR (Mo. 20.3166) erklärt hatte.
Bei der Ratsdebatte wies Wirtschaftsminister Guy Parmelin zudem darauf hin, dass die identische Forderung im Rahmen einer angenommenen Motion Häberli-Koller (mitte, TG; Mo. 20.3268) bereits vom Bundesrat bearbeitet werde. Während die Fraktionen der FDP, der GLP und der SVP (mit der Ausnahme von Jean-Luc Addor/svp, VS) geschlossen dem Bundesrat folgten, votierten die Fraktionen der SP, der Grünen und der Mitte ebenso geschlossen für die Annahme der Motion.

Biens essentiels. Réduire notre dépendance économique (Mo. 20.3245)
Dossier: Réduire notre dépendance économique

In der Sondersession vom Mai 2022 behandelte der Nationalrat die Änderung der Zivilprozessordnung zur Verbesserung der Praxistauglichkeit und der Rechtsdurchsetzung als Zweitrat. Wie Kommissionssprecher Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) berichtete, hatte sich die RK-NR in der Vorberatung mit 139 Anträgen zu beschäftigen. Wie schon in der Ständekammer verlief die Ratsdebatte angesichts des Umfangs der Vorlage wenig kontrovers, da es sich um viele technische Detailfragen handelte. Nach dem unbestrittenen Eintreten folgte auch die grosse Kammer in den allermeisten Punkten ohne grosse Diskussion ihrer Kommissionsmehrheit. Diese habe bei den vorgeschlagenen Anpassungen vor allem darauf geachtet, ein «laienfreundliches Gesetz» zu gestalten, so Berichterstatter Bregy.
Ausführlich diskutiert wurde – wie schon im Erstrat – die Sprachenfrage: Nachdem sich der Ständerat dagegen ausgesprochen hatte, dass die Kantone in Zivilverfahren neben ihren Amtssprachen auch andere Landessprachen und Englisch als Verfahrenssprache zulassen dürfen, wenn beide Parteien damit einverstanden sind, präsentierte die nationalrätliche Kommissionsmehrheit einen Kompromissvorschlag. Gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag sah sie zwei Einschränkungen vor: Erstens soll ein Verzicht auf die Amtssprache nicht vor Verfahrensbeginn erfolgen können – dies um zu verhindern, dass Unternehmen etwa in ihren AGB der Gegenpartei schweizweit ihre bevorzugte Sprache aufzwingen können – und zweitens soll ein Verfahren in Englisch nur bei handelsrechtlichen Streitigkeiten möglich sein. Zwei links-grüne Minderheiten wollten hingegen dem Ständerat folgen und auf die Möglichkeit zu anderen Sprachen – bzw. wenigstens auf die anderen Landessprachen – verzichten. Sie sorgten sich um den Stand der Minderheitensprachen, wenn auch in der Romandie und im Tessin auf Deutsch prozessiert werden könnte, und um die Qualität der Rechtsprechung, wenn der ganze Justizapparat plötzlich in mehreren Sprachen funktionieren müsste. Ein Verzicht auf die Möglichkeit zu Verfahren in englischer Sprache wäre aus Sicht von Bundesrätin Karin Keller-Sutter «sehr bedauerlich», weil dies eine zentrale Voraussetzung für die Schaffung internationaler Handelsgerichte sei und damit die Bestrebungen danach als gescheitert anzusehen wären. Gegen den Widerstand von Links-Grün folgte der Nationalrat in dieser Frage deutlich seiner Kommissionsmehrheit.
Ebenfalls erfolglos blieben sowohl das links-grüne Lager als auch die SVP-Fraktion mit verschiedenen Minderheitsanträgen für eine weitere Senkung der Prozesskosten. Sie wollten damit den Zugang zum Gericht erleichtern, da mit den aktuellen Kostenhürden «Prozessieren für den Mittelstand praktisch unerschwinglich» sei, wie es Sibel Arslan (basta, BS) formulierte. Da sie eine andere Vorstellung davon hatten, wie dies zu bewerkstelligen sei, unterstützten sich die beiden Lager jedoch nicht gegenseitig. Die obsiegende Mehrheit argumentierte, dass es – über die vom Bundesrat vorgeschlagenen Anpassungen hinaus – die Aufgabe der Kantone sei, die Tarife zu senken.
Für eine grössere Debatte sorgte auch das Mitwirkungsverweigerungsrecht für Unternehmensjuristinnen und -juristen. Damit sollen Schweizer Unternehmen im Ausland davor geschützt werden, mehr offenlegen zu müssen als die Konkurrenz aus Staaten, die einen solchen Berufsgeheimnisschutz für Unternehmensjuristinnen und -juristen kennen. Der Ständerat hatte hier gegenüber dem bundesrätlichen Vorschlag Einschränkungen vorgenommen, «die der Bundesrat nicht zwingend unterstützen möchte», wie Karin Keller-Sutter erklärte. Am liebsten hätte der Bundesrat an seiner eigenen Version festgehalten, die «das Ergebnis einer langen Diskussion und eines Reifeprozesses» sei und der parlamentarischen Initiative Markwalder (fdp, BE; Pa.Iv. 15.409) entspreche, so die Bundesrätin. Eine entsprechende Minderheit Markwalder blieb aber chancenlos. Die Mehrheit der RK-NR präsentierte indes eine Weiterentwicklung der ständerätlichen Lösung, die derjenigen des Bundesrates laut der Justizministerin inhaltlich «sehr nahe» stehe, weshalb die Regierung nach dem Motto «Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach» diesen Antrag unterstützte. Dieser wurde von der grossen Kammer sodann auch angenommen. Dagegen sprachen sich die SP- und die Grüne Fraktion aus, die nur ein weniger weitgehendes Mitwirkungsverweigerungsrecht akzeptiert hätten.
Dem Beschluss des Ständerates, wonach im Zivilverfahren elektronische Instrumente, wie zum Beispiel Videokonferenzen, eingesetzt werden können, stimmte im Grundsatz auch die Volkskammer zu. Sie präzisierte allerdings, dass dazu in jedem Fall die Zustimmung aller Parteien erforderlich ist.
Eine letzte lebhafte Debatte entzündete sich an den Voraussetzungen für provisorische Massnahmen gegen Medien, konkret an der Frage, wann die Veröffentlichung eines Medienberichts mittels superprovisorischer Verfügung vorläufig verhindert werden kann. Der Ständerat hatte beschlossen, dass dies möglich sein soll, wenn der Bericht – zusätzlich zu weiteren Kriterien – für die gesuchstellende Partei einen schweren Nachteil verursacht oder verursachen kann – im Unterschied zum «besonders schweren Nachteil», der nach geltendem Recht verlangt wird. Die Ratslinke sah darin einen Angriff auf die Pressefreiheit, der überdies klammheimlich in einer grossen Gesetzesrevision versteckt werde. Auch wenn über die praktischen Auswirkungen dieser Änderung Unklarheit herrschte, sei sie doch ein «schwieriges Signal», so Min Li Marti (sp, ZH). Ein Einzelantrag Dandrès (sp, GE) zur Auskopplung dieser Frage aus der ZPO-Revision durch Auslagerung in einen separaten Entwurf wurde von der bürgerlichen Ratsmehrheit ebenso abgelehnt wie der Minderheitsantrag, der bei der Fassung des Bundesrates bleiben und die Voraussetzungen inhaltlich unverändert lassen wollte. Mit 99 zu 81 Stimmen bei 7 Enthaltungen stimmte der Nationalrat dem Beschluss seiner Schwesterkammer zu und besiegelte damit die Streichung des Wortes «besonders». Dies sei kein Entscheid gegen die Medienfreiheit, sondern für den Schutz einzelner Menschen, erklärte Judith Bellaïche (glp, ZH). «Das Recht auf Medienfreiheit beinhaltet nicht pauschal das Recht, Existenzen zu zerstören», so die GLP-Vertreterin.
In der Gesamtabstimmung hiess die grosse Kammer den Entwurf mit 183 zu 1 Stimme (Lukas Reimann; svp, SG) bei 2 Enthaltungen (Christian Dandrès, Yvette Estermann; svp, LU) gut. Zudem stimmte sie der Abschreibung der Postulate Po. 13.3688 und Po. 14.3804 sowie der Motionen Mo. 14.4008 und Mo. 17.3868 stillschweigend zu.

Code de procédure civile. Modification - Praticité et application de la loi (MCF 20.026)
Dossier: Révision du code de procédure civile (2018–)
Dossier: discussions sur la liberté de la presse en Suisse

Im Frühling 2022 beschlossen die Mitgliederversammlungen der «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (Auns), des «Komitees Nein zum schleichenden EU-Beitritt (EU-No)» und der «Unternehmer-Vereinigung gegen den EU-Beitritt» je separat, sich als eigenständige Organisationen aufzulösen und zu fusionieren. Die fusionierte Organisation sollte voraussichtlich den Namen «PSS – Pro Souveräne Schweiz» erhalten, darüber sollte aber erst an der Gründungsversammlung der neuen Organisation im Oktober 2022 definitiv entschieden werden. Eine Arbeitsgruppe unter Christoph Blocher (svp, ZH) sollte bis dahin auch die Statuten des neuen Vereins vorbereiten.
Die Mitglieder der drei Organisationen folgten mit den Fusionsbeschlüssen ihren jeweiligen Vorständen, die sich im März 2022 in einer gemeinsamen Medienmitteilung zu einem Zusammenschluss bekannt hatten. Mit der Bündelung der Ressourcen könne man «die Schlagkraft der Verteidiger einer unabhängigen und neutralen Schweiz erhöhen». Erklärtes Ziel sei es, eine referendumsfähige Organisation zu erhalten und die nötigen finanziellen Mittel für Abstimmungskämpfe bereitzustellen. Genau diese Fähigkeit, erfolgreich ein Referendum zu ergreifen und einen Abstimmungssieg zu erzielen, sprach Christoph Blocher der heutigen Auns ab. Überhaupt war Christoph Blocher – Gründungspräsident der Auns und Ex-Präsident des Komitees EU-No – gemäss Medienberichten die treibende Kraft hinter dem Zusammenschluss.
Dabei ging der Schritt zumindest beim grössten Fusionspartner, der Auns, nicht ganz ohne Misstöne über die Bühne: Das Vorstandsmitglied Luzi Stamm (svp, AG) wollte an der Versammlung offenbar Kritik an der geplanten Fusion äussern, doch seine «nicht enden wollende Zwischenrede» wurde per Versammlungsbeschluss unterbrochen, wie dem Versammlungsbericht der Auns zu entnehmen war. Selbst der seit 2014 amtierende Präsident der Auns, Nationalrat Lukas Reimann (svp, SG), zeigte sich in seiner Rede an der Versammlung «unsicher» bezüglich der Fusion – sicher sei er aber, «dass Christoph Blocher das Richtige tut». Im Sonntagsblick zog Reimann freilich Blochers Analyse in Zweifel, dass die Auns nicht mehr referendumsfähig gewesen sei: Man habe über mehr als 20'000 zahlende, wenn auch «etwas ältere» Mitglieder sowie über eine Adressdatenbank mit 90'000 Personen verfügt und in den letzten Jahren viermal die Lancierung einer Volksinitiative beschlossen. Dass man schliesslich auf alle vier Initiativen verzichtet habe, habe auch daran gelegen, dass Christoph Blocher jeweils gefunden habe, man müsse sich auf den Kampf gegen das Rahmenabkommen konzentrieren. Mit bloss vier Gegenstimmen entschieden sich letztlich aber auch die Auns-Mitglieder klar für die Fusion. Gegenüber dem Sonntagsblick befand Reimann anschliessend, die Fusion «müsse kein Flop werden, [...] aber jetzt kaufen wir halt schon die Katze im Sack, wenn man nicht recht weiss, was da kommt».

Ablösung der Auns durch «Pro Schweiz»

Mit einer parlamentarischen Initiative forderte Nationalrat Lukas Reimann (svp, SG) eine Anpassung der Staatshaftungsrechte. Konkret sollte der Artikel 146 BV, laut welchem der Bund für Schäden haftet, die er widerrechtlich verursacht hat, dahingehend ergänzt werden, dass der Bund auch für rechtmässig verursachte Schäden haften und bei einer unbegründeten, schweren Einschränkung der persönlichen Freiheit oder bei Enteignungen Schadenersatz leisten muss. Der Initiant verwies in seiner Begründung auf die Covid-19-Pandemie und argumentierte, dass im Notrecht die meisten staatlichen Handlungen rechtens seien und somit keine Staatshaftung bestehe. Die vorberatende RK-NR sprach sich mit 18 zu 7 Stimmen gegen die Initiative aus. Wie Kommissionssprecher Beat Flach (glp, AG) im Ratsplenum erklärte, war die Kommissionsmehrheit der Meinung, dass die bestehende Ausgestaltung der Staatshaftung ausreichend und angemessen sei. Bezogen auf die Covid-19-Pandemie führte Flach aus, dass Massnahmen wie Geschäftsschliessungen, die nach Reimanns Vorschlag unter die Staatshaftung fallen könnten, vom Parlament besprochen worden und somit rechtmässig und tragbar gewesen seien. Im Allgemeinen befürchtete die Kommissionsmehrheit, dass eine Ausweitung der Staatshaftung zu einer Flut von Klagen führen würde, was das Rechtssystem überfordern könnte. Im Fall von Enteignungen und Eigentumseinschränkungen bestehe bereits eine angemessene Entschädigung. Eine Minderheit Schwander (svp, SZ) unterstützte die Initiative mit der Begründung, dass mit der bestehenden Gesetzgebung die Staatshaftung zu wenig breit angelegt sei und dass die Hürden für die Einforderung der Staatshaftung zu hoch seien. Der Nationalrat lehnte die parlamentarische Initiative in der Frühjahrssession 2022 mit 135 zu 50 Stimmen ohne Enthaltung ab. Über die SVP-Fraktion hinaus fand sie keine Unterstützung.

Anpassung der Staatshaftungsrechte (Pa. Iv. 20.477)

In einer Motion forderte Lukas Reimann (svp, SG) im März 2021, dass Soft Law nicht die bewährte, demokratische Gewaltenteilung umgehen dürfe und daher zwingend dem Parlament unterbreitet sowie einem fakultativen Referendum unterstellt werden müsse. Der Motionär argumentierte in der Begründung seiner Motion, dass durch Soft Law eine Völkerrechtstradition erschaffen werde, die nach einigen Jahren von den Gerichten als bindend angesehen werde. Er berief sich zudem auf den Postulatsbericht «Konsultation und Mitwirkung des Parlaments im Bereich von Soft Law», in dem der Bundesrat darauf hingewiesen habe, dass der innenpolitische Meinungsbildungsprozess im Falle von Soft Law-Instrumenten nicht vollständig ausgeschöpft werde. Der Bundesrat beantragte die Ablehnung der Motion Reimann. Die Exekutive hatte sich aber im erwähnten Bericht ebenfalls die Frage gestellt, wie die in der Bundesverfassung und im Parlamentsgesetz garantierte Mitwirkung des Parlaments in der Aussenpolitik im Kontext von Soft Law-Instrumenten umgesetzt werden könne, und verwies daher auf die Vorschläge zur gezielten Mitwirkung des Parlaments unter Wahrung der verfassungsmässigen Kompetenzordnung und der aussenpolitischen Handlungsfähigkeit, die sie in besagtem Postulatsbericht unterbreitet hatte. Die aussenpolitischen Kommissionen hätten sich bei der Beratung des Berichts dazu entschlossen, das Thema durch eine Subkommission vertieft analysieren zu lassen. Das Kernanliegen der Motion sei somit bereits Bestandteil der aktuellen Diskussionen im Parlament, mit Ausnahme der Frage des fakultativen Referendums. Die von Reimann gestellte Forderung würde überdies eine Revision der Bundesverfassung nötig machen, was der Bundesrat jedoch für verfrüht hielt, da die Beratungen im Parlament noch nicht abgeschlossen seien.
In der Frühjahrssession 2022 zeigte sich Motionär Reimann erstaunt über die Aussage des Bundesrats, dass man sich noch in der Analysephase befände, wo doch der Postulatsbericht veröffentlicht sei und dessen Aussagen «klipp und klar» seien. Seiner Meinung nach sei Soft Law demokratisch zu wenig legitimiert und die Mitsprache von Parlament und Stimmbevölkerung ungenügend. Mitte-Nationalrätin Schneider-Schneiter (mitte, BL) zeigte sich mit dem Inhalt der Motion einverstanden, wies ihren Ratskollegen aber ebenfalls auf die Arbeit der Subkommission hin, die Reimanns Motion überflüssig mache. Reimann wollte jedoch «Nägel mit Köpfen machen» und sofort eine Entscheidung fällen, denn die Arbeit der Subkommission stelle für ihn eine «sehr lange Verzögerung der ganzen Sache» dar. Aussenminister Cassis teilte dem Motionär mit, dass die Exekutive die Arbeit des Parlaments nicht beschleunigen könne. Cassis zählte zudem einige negative Konsequenzen auf, die die Genehmigung des Soft Law durch das Parlament hätte. Einerseits würde die parlamentarische Genehmigung die Verbindlichkeit der Soft Law-Instrumente erhöhen, was der Natur der Sache widerspreche und zu Asymmetrien in den zwischenstaatlichen Beziehungen führen würde, weil kein anderes Land eine solche Regelung kenne. Andererseits wäre eine Verfassungsänderung nötig, weil Soft Law nicht unter den Begriff der völkerrechtlichen Verträge fällt, womit man eine Verfassungsdiskussion führen müsste, bevor das Parlament eine Analyse der Situation durchführen könnte. Der Nationalrat stimmte mit 138 zu 52 Stimmen gegen die Motion, nur die Mitglieder der SVP-Fraktion sprachen sich für ein Ja aus.

Soft Law darf nicht bewährte, demokratische Gewaltenteilung umgehen (Mo. 21.3341)
Dossier: Droit non contraignant - participation du Parlement