Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz! (Nachhaltigkeitsinitiative)» (BRG 25.026)

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Die SVP lancierte Anfang Juli 2023 die Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» (Nachhaltigkeitsinitiative), wie die Partei in einer Medienmitteilung kommunizierte. Zuvor hatten sich ihre Delegierten am Sonderparteitag zu Asyl und Zuwanderung in Küssnacht einstimmig für die Lancierung der Initiative ausgesprochen. Diese verlangt, dass die ständige Wohnbevölkerung der Schweiz bis ins Jahr 2050 unter zehn Millionen Menschen bleiben muss und Bund und Kantone für eine nachhaltige Bevölkerungsentwicklung sorgen müssen. Ab einer Bevölkerungszahl von 9.5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern soll der Bund zudem erste Massnahmen erlassen, etwa durch einen Verzicht auf Vergabe von Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligungen für vorläufig Aufgenommene oder durch «Neuverhandlung bevölkerungswachstumstreibender internationaler Übereinkommen». Wird der Grenzwert dennoch überschritten, müsste der Bund «alle [ihm] zur Verfügung stehenden Massnahmen zur Einhaltung des Grenzwertes» treffen und die entsprechenden Übereinkommen kündigen – zwei Jahre nach Überschreitung ausdrücklich auch das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU, falls die Bevölkerungszahl noch nicht wieder unter den Grenzwert gefallen ist. Die SVP begründete ihre Initiative damit, dass die «masslose[], ungeregelte[] Zuwanderung» begrenzt werden müsse, um negativen Auswirkungen dieser Zuwanderung, unter anderem in Form von vollen Zügen oder stark steigenden Gesundheitskosten, entgegenzuwirken.
Der Tages-Anzeiger erachtete die Initiative als «harscher Eingriff» in die derzeitige Asylpolitik der Schweiz. Parteipräsident Marco Chiesa sagte gemäss Medien am Sonderparteitag: «Es kommen zu viele [Asylsuchende], es kommen die Falschen». Chiesa und weitere Redner kritisierten dabei insbesondere die seit Januar 2023 dem EJPD vorstehende Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider für die in den Augen der Volkspartei gescheiterte Asylpolitik scharf. Die NZZ war hingegen der Ansicht, dass es der Partei bei der Initiative nicht nur um die Asylpolitik gehe, sondern generell um aus Sicht der Partei problematische Aspekte des kulturellen Zusammenlebens mit Ausländerinnen und Ausländern. In Le Temps wurde zudem darüber spekuliert, ob es bei der Initiative nicht insbesondere darum gehe, das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU in Frage zu stellen.
Mitte Juni 2023 nahm die Bundeskanzlei die Vorprüfung der Initiative vor. Die Unterschriftensammlung erstreckt sich vom 4. Juli 2023 bis zum 4. Januar 2025. Zu den Urheberinnen und Urhebern der Initiative gehört auch der alt-Bundesrat und frühere Parteipräsident Ueli Maurer, jedoch nicht alt-Bundesrat Christoph Blocher.

Anfang April 2024 und somit bereits acht Monate vor Ablauf der Sammelfrist reichte die SVP ihre Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz! (Nachhaltigkeitsinitiative)» mit 114'805 Unterschriften bei der Bundeskanzlei ein. Davon waren 114'430 gültig. Die Einreichung der Initiative erfolgte damit nur wenige Wochen nach der Veröffentlichung der neusten Zuwanderungszahlen des SEM, das für das Post-Pandemie-Jahr 2023 eine erneut deutlich angestiegene Nettozuwanderung von 98'851 Personen auswies. Diese Zuzüge hätten «wesentlich dazu beigetragen, den Fach- und Arbeitskräftemangel auszugleichen», schlussfolgerte das SEM in dessen Medienmitteilung. Beinahe zeitgleich hatte der Bundesrat sein endgültiges Verhandlungsmandat mit der EU verabschiedet. Sowohl die AZ als auch die NZZ mutmassten, dass es der SVP durch ihre Initiative gelingen dürfte, den Druck bei den Verhandlungen aufrecht zu erhalten.

Im März 2025 präsentierte der Bundesrat seine Botschaft zur Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz! (Nachhaltigkeitsinitiative)», in der er das Vorhaben ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung empfahl. Diese Haltung begründete er in erster Linie mit der Wichtigkeit der bilateralen Beziehungen zur EU, die er zu festigen gedenke. Im Dezember 2024 hatte die Regierung die Verhandlungen zum Rahmenabkommen mit der EU materiell abgeschlossen und wies nun in ihrer Botschaft auf die dabei beschlossene Konkretisierung der Schutzklausel im Freizügigkeitsabkommen (FZA) hin, die in bestimmten Fällen eine Beschränkung der Zuwanderung erlaube. Dass dem FZA zahlenmässige Beschränkungen oder weitere Ausnahmen im Sinne der Volksinitiative angefügt werden könnten, erachtete der Bundesrat als «unrealistisch». Ferner schätzte die Regierung eine «bedarfsgerechte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt» nach wie vor als unverzichtbar ein, um die Schweizer Wirtschaft zu stärken und das Gesundheitswesen aufrechtzuerhalten. Eine Kündigung des FZA komme für sie nicht in Frage. Nicht zuletzt wies der Bundesrat darauf hin, dass eine Annahme der Volksinitiative auch zur Kündigung vieler internationaler Übereinkommen sowie zum Wegfall der anderen Bilateralen I-Abkommen und gegebenenfalls auch zur Aufkündigung des Schengen-/Dublin-Assoziierungsabkommens führen würde. Käme es zu Letzterem, wäre dies hinderlich für die Bekämpfung der Kriminalität, was die innere Sicherheit der Schweiz gefährden würde, so der Bundesrat in seiner Medienmitteilung.
Nichtsdestotrotz anerkannte der Bundesrat die mit der Zuwanderung einhergehenden Herausforderungen. Neben den bereits beschlossenen Schritten arbeite er mit Kantonen und Gemeinden daran, eine «Gesamtstrategie Asyl» auszuformulieren, die darauf abziele, die Asylgesuche zu reduzieren und die Verfahrensdauer zu beschleunigen. Mit den im Januar 2025 beschlossenen arbeitsmarktpolitischen Massnahmen – darunter solche zur Unterstützung des beruflichen Wiedereinstiegs von älteren Stellensuchenden sowie zur besseren Nutzung des Arbeitsmarktpotenzials von qualifizierten Personen im Familiennachzug – seien zudem bereits Massnahmen in die Wege geleitet worden, um das inländische Arbeitskräftepotential besser auszuschöpfen. Auch im Wohnungswesen sah der Bund verstärkte Massnahmen, wie beispielsweise eine Verschärfung der Lex Koller sowie eine Aufstockung des Fonds zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus, vor.