In der Herbstsession 2025 befasste sich der Nationalrat als Erstrat mit der Volksinitiative der Mitte «Ja zu fairen Bundessteuern auch für Ehepaare – Diskriminierung der Ehe endlich abschaffen!». Da er erst im Mai die «Steuergerechtigkeits-Initiative» der FDP-Frauen, welche die sogenannte Heiratsstrafe durch die Einführung einer zivilstandsunabhängigen Individualbesteuerung beseitigen wollte, beraten hatte, war die Diskussion in der grossen Kammer stark von einer Gegenüberstellung der verschiedenen Modelle geprägt.
Zuvor hatte die WAK-NR die Mitte-Initiative mit 13 zu 12 Stimmen knapp zur Ablehnung empfohlen. Kathrin Bertschy (glp, BE) und Sophie Michaud Gigon (gp, VD) erklärten für die Kommissionsmehrheit, die Initiative der Mitte schreibe einzig vor, dass auch nach der Abschaffung der sogenannten Heiratsstrafe die Ehepaare weiterhin gemeinsam besteuert werden sollen, sodass für ihre Umsetzung Splitting-Modelle sowie das alternative Berechnungsmodell, welches der Bundesrat bereits einmal vorgeschlagen hatte, in Frage kämen. Jedoch würden alle geprüften Splitting-Modelle massive Steuerausfälle generieren, wobei das «günstigste» mit CHF 1.46 Mrd. mehr als doppelt so teuer sei wie die Einführung der Individualbesteuerung. Zwar würden viele Ehepaare durch ein Splitting steuerlich entlastet, dies gehe aber mit einer Mehrbelastung vieler unverheirateter Paare mit Kindern, Alleinerziehender und mittelständischer Ehepaare einher, weil beim Splitting im Gegensatz zur Individualbesteuerung die Progression auf das Zweiteinkommen nicht beseitigt werde. Dadurch würden im übrigen auch keine zusätzlichen Erwerbsanreize für Frauen geschaffen. Das alternative Berechnungsmodell generiere zwar nicht zwingend Mehrbelastungen, sei aber ebenfalls sehr teuer. Um die Steuerausfälle auf einem ähnlichen Niveau zu halten wie bei der Individualbesteuerung, müssten die Abzüge verringert und die Tarife angepasst werden, wodurch aber mit Ausnahme der zehn Prozent der obersten Einkommen «bei mehr Personen eine Mehrbelastung als eine Minderbelastung» entstehen würde. Folglich schnitten für die Kommissionsmehrheit alle geprüften Modelle zur Umsetzung der Initiative hinsichtlich Steuerausfällen, Beschäftigungseffekten und Mehrbelastungen schlechter ab als die Individualbesteuerung. Neben den Sprecherinnen und Sprechern der FDP-, SP-, GLP- und Grünen Fraktion schloss sich auch Bundesrätin Karin Keller-Sutter in ihrem Votum diesen Argumenten an und empfahl, die Initiative ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.
Eine Minderheit um Leo Müller (mitte, LU) beantragte, die Initiative zur Annahme zu empfehlen. Die Initiative sei absichtlich offen formuliert, so dass im Gesetzgebungsverfahren genügend Spielraum zum Austarieren des bestmöglichen Berechnungsmodells vorhanden sei. Im Gegensatz zur «Steuergerechtigkeits-Initiative» greife die Mitte-Initiative nicht in die Steuerautonomie der Kantone ein, die in vielen Fällen die sogenannte Heiratsstrafe bereits beseitigt hätten und die Einführung einer Individualbesteuerung grossmehrheitlich ablehnten. Die Individualbesteuerung würde zudem 1.7 Mio. mehr Steuerdossiers pro Jahr und «Tausende von Beamtenstellen auf Bundesebene» mit sich bringen, während die Mitte-Initiative lediglich eine minimale Verfassungsänderung bei der Berechnungsmethode der Bundessteuern anstrebe. Für eine Annahme sprach sich die Mitte-Fraktion aus, deren Position von Mitte-Parteipräsident Philipp Matthias Bregy (mitte, VS) verdeutlicht wurde. Selbstverständlich bringe eine Entlastung von Ehepaaren Steuerausfälle mit sich. Schliesslich solle eine zu hohe Besteuerung einer Personengruppe beseitigt werden, ohne gleichzeitig – und dies tue die Individualbesteuerung – neue Ungleichheiten zu schaffen, ergänzte Bregy. Der Ratsmehrheit warf er zudem vor, «völlig undemokratisch» verhindert zu haben, dass das Volk gleichzeitig über die beiden Initiativen entscheiden könne. Rückendeckung erhielt die Mitte-Fraktion von Paolo Pamini (area liberale, TI), der in der Mitte-Initiative im Namen der SVP-Fraktion eine Stärkung der Institution der Ehe sah.
Schliesslich empfahl der Nationalrat die Volksinitiative der Stimmbevölkerung und den Ständen mit 99 zu 92 Stimmen zur Ablehnung. Für eine Annahme stimmten geschlossen die SVP- und die Mitte-Fraktion, während alle anderen Fraktionen geschlossen dagegen stimmten.