Die Biodiversitätsinitiative gelangte im September 2024 zusammen mit der Reform der Beruflichen Vorsorge an die Urne. Die Volksinitiative, die offiziell «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft» heisst, wurde 2019 von Naturschutzkreisen lanciert. Sie forderte die stärkere Verankerung der Biodiversität in der Verfassung sowie genügend Flächen und finanzielle Mittel für den Erhalt der Biodiversität. Des Weiteren wollte die Initiative schutzwürdige Landschaften, Ortsbilder, geschichtliche Stätten sowie Natur- und Kulturdenkmäler bewahren. In der parlamentarischen Beratung wurden sowohl die Initiative als auch ein möglicher Gegenvorschlag verworfen. Daher gelangte die Initiative ohne Alternativvorschlag zur Abstimmung.
Die Abstimmungskampagne war geprägt durch einen tiefen Graben zwischen den beiden Lagern. Auf der Pro-Seite positionierten sich die Initiantinnen und Initianten rund um die Naturschutzorganisationen Pro Natura, BirdLife und Schweizer Heimatschutz sowie die Grünen, die SP und die GLP. Bei den Gegnerinnen und Gegnern stand vor allem der SBV im Fokus. Die Befürworterinnen und Befürworter der Initiative argumentierten, dass es um die Biodiversität sowie um die Vernetzung der entsprechenden Flächen und Gebiete in der Schweiz schlecht stehe und sie durch die intensive Landwirtschaft und die Siedlungsausdehnung noch mehr unter Druck gerate. Nur mit einer intakten Natur könne überhaupt Landwirtschaft betrieben werden und ein höheres Mass an Biodiversität verbessere die Wasser- und Bodenqualität. Die Gegnerschaft widersprach diesen Argumenten mit der Behauptung, dass es der Biodiversität in der Schweiz besser gehe, als vom Initiativkomitee behauptet. Ausserdem unternehme die Landwirtschaft schon genug für den Schutz der Biodiversität. Anstatt noch mehr Flächen unter Schutz zu stellen, sollten die bestehenden Flächen besser aufgewertet werden. Zudem seien noch mehr Schutzflächen gleichbedeutend mit weniger landwirtschaftlicher Produktion und mehr Importen landwirtschaftlicher Güter. Von Seiten der Energiebranche wurde argumentiert, dass mit Annahme der Initiative zahlreiche Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien, beispielsweise Freiflächen-Solaranlagen oder Windparks, gar nicht mehr oder nur mit grossen zeitlichen Verzögerungen realisiert werden könnten.
In den Medien erregte eine Studie des Biologen Marcel Züger einige Aufmerksamkeit. Diese Studie, die vom SBV in Auftrag gegeben worden war, legte dar, dass es in der Schweiz keine Krise der Biodiversität zu verzeichnen gebe, in den letzten Jahrzehnten sei vielmehr eine Trendwende hin zu mehr Artenschutz geschafft worden. Zahlreiche andere Naturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler kamen aber zu einem anderen Schluss, denn die Verbesserungen hätten auf einem sehr tiefen Niveau stattgefunden und träfen längst nicht auf alle Arten zu, so die Argumente.
Bemerkenswertes resultierte aus der Inserateanalyse von Année Politique Suisse: Im Unterschied zu den Vergleichsvorlagen wie der Trinkwasserinitiative schalteten die Befürwortenden der Biodiversitätsinitiative mehr Inserate in den Zeitungen als die Gegnerschaft. Die starke Inseratekampagne des Pro-Lagers widerspiegelte sich aber nicht im Ergebnis der Vorumfragen, wo sich das bekannte Muster zeigte, dass eine Volksinitiative am Anfang eine relative grosse Anzahl Stimmberechtigte zu begeistern vermag, mit der Zeit jedoch an Zustimmung verliert. Während die Biodiversitätsinitiative Anfang August noch 51 Prozent der Befragten zu überzeugen vermochte, sank dieser Wert innert vier Wochen auf 46 Prozent. So vermochte es nicht zu erstaunen, dass die Initiative am Abstimmungssonntag vom 22. September abgelehnt wurde, wobei die niedrige Zustimmung von rund 37 Prozent aber schon eher überraschte.
Abstimmung vom 22. September 2024
Beteiligung: 45.19%
Ja: 36.96%
Nein: 63.04%
Parolen:
Ja: EVP, GLP, GPS, PdA, SD, SPS, VCS, Kleinbauernvereinigung, WWF, Greenpeace, Fondation Franz Weber, STS und diverse weitere Umwelt- und Naturschutzorganisationen, Schweizer Heimatschutz
Nein: EDU, FDP, Lega, MCG, Mitte (2*), SVP, SBV, SGV, Schweizer Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete, Centre Patronal, WaldSchweiz, GastroSuisse, HotellerieSuisse, Baumeisterverband, Swissmem, Schweizer Wasserwirtschaftsverband, Verband Schweizer Elektrizitätsunternehmen, aeesuisse (Dachverband der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz), Bäuerinnen- und Landfrauenverband, HEV
Stimmfreigabe: GLP GR, GLP JU, Mitte ZH, PdA BE
* in Klammern die Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Die Nachbefragung zeigte einen starken links-rechts-Graben mit einer gespaltenen GLP, einen deutlichen Stadt-Land-Unterschied (die beiden Stadtkantone Basel-Stadt und Genf hatten die Initiative als einzige Kantone angenommen) sowie eine Differenz bei den Geschlechtern, wobei Männer die Initiative stärker ablehnten als Frauen.
Verschiedenen Akteurinnen und Akteure waren sich nicht einig, was das Abstimmungsergebnis für die Zukunft bedeutet. SBV-Präsident Markus Ritter (mitte, SG) betrachtete das Resultat als Bestätigung des bislang eingeschlagenen Weges und Umweltminister Albert Rösti ergänzte, dass die Massnahmen zugunsten der Biodiversität wie bis anhin «mit Umsicht und Augenmass» (Tages-Anzeiger) getroffen werden müssten. Nein-Komitee-Mitglied Thierry Burkart (fdp, AG) wiederum sah nun vor allem die Städte beim Erhalt und der Förderung der Biodiversität am Zuge. Jaqueline de Quattro (fdp, VD), die ebenfalls im Nein-Komitee war, zeigte sich überzeugt, dass auch die Baubranche und die Energiebranche ins Boot geholt werden müssen, um Erfolge in Sachen Biodiversitätsschutz zu erzielen. Für Heidi Z'graggen (mitte, UR), die auch bereits Vorstösse zum Thema eingereicht hatte, war der Handlungsbedarf unbestritten. Sie forderte, dass Gelder für konkrete Projekte zur Stärkung der Biodiversität an die Kantone fliessen.
Die Befürworterinnen und Befürworter der Initiative zeigten sich naturgemäss enttäuscht über das Ergebnis der Abstimmung. Hasan Candan, SP-Nationalrat und Mitarbeiter bei Pro Natura, vertrat die Ansicht, dass der «Kampf um die Biodiversität» (Aargauer Zeitung) noch nicht zu Ende sei, nun sei jedoch Bundesrat Rösti gefordert, der in Bälde den zweiten Aktionsplan in Umsetzung der Strategie Biodiversität Schweiz vorlegen werde.
Volksinitiative «Für die Zukunft unserer Natur und Landschaft (Biodiversitätsinitiative)» (BRG 22.025)