Schwieriger als die materiellen Einbussen sind jedoch die psychologischen und politischen Auswirkungen der «Affäre Chiasso» einzuschätzen. Auf die öffentliche und auf die veröffentliche Meinung wirkte der Skandal zunächst jedenfalls wie ein Schock, und selbst der Bundesrat sah sich veranlasst, eine Erklärung abzugeben, während im Parlament zahlreiche Vorstösse – u.a. Interpellationen Auer (fdp, BL, Ip: 77.305) sowie der FDP-Fraktion (Ip. 77.358) und Motion Ziegler (sp, GE, Mo: 77.363) – lebhafte Debatten auslösten. Bald kristallisierten sich in der Diskussion zwei antagonistische Gruppen heraus, die anhand einer unterschiedlichen Interpretation des Bankskandals auch ihre gegensätzlichen politischen Motivationen zu erkennen gaben. Bank- und Wirtschaftskreise, denen sich auch die bürgerlichen Parteien und die Behörden mehrheitlich zugesellten, bezeichneten als Ursache der «Affäre Chiasso» persönliches Versagen, vor dem man sich in Zukunft mittels eines Ausbaus der internen und externen Bankkontrolle leidlich schützen könne. Die in der Schweiz domizilierten Banken und die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) einerseits sowie die Nationalbank (SNB) andererseits schlossen denn auch eine Vereinbarung über die Sorgfaltspflicht bei der Entgegennahme von Geldern und über die Handhabung des Bankgeheimnisses ab, die es den Banken bei Strafe untersagt, bei illegalen Kapitaltransfers ihre Hilfe anzubieten oder Täuschungsmanövern ihrer Kunden gegenüber Behörden des In- und Auslandes aktiv Vorschub zu leisten. Von eher linksstehenden Kreisen wurde jedoch dieses Gentlemen's Agreement als reine Alibiübung bezeichnet, die am Kern der Sache vorbeiziele, denn der Bankskandal könne nicht allein auf persönliches und organisatorisches Versagen zurückgeführt werden, sondern sei Ausdruck strukturell bedingter Anfälligkeiten des expandierenden Bankensystems und der profitorientierten Wirtschaft, denen letztlich nur mit einem Systemwandel beizukommen sei. Die Sozialdemokraten bereiteten zu dem Zweck eine Volksinitiative vor, die den Missbrauch des Bankgeheimnisses zu stoppen, die Bankgeschäfte durchsichtiger zu machen und die Einlagen der Sparer vor Bankzusammenbrüchen besser zu sichern verlangt.
- Schlagworte
- Datum
- 30. Dezember 1977
- Prozesstyp
- Interpellation / Anfrage
- Geschäftsnr.
- 77.358
- Akteure
- Quellen
-
anzeigen
- AB NR, 1977, S. 790 ff.
- AB NR, 1977, S. 835 f.
- AB NR,1977, S. 504
- AB SR, 1977, S. 201 f.
- AB SR, 1977, S. 440 ff.
- Der Monat, 1977, Nr. 9, S. 8 ff.
- Infrarot, Nr. 32, Jan./Febr. 1978, S. 4 ff.
- SBVg, Jahresbericht, 65/1976–77, S. 57 ff.
- SNB (1978). Geschäftsbericht 70/1977, S. 59
- Schweizer Monatshefte, 57/1977, S. 169 ff.
- gk, 5.5., 23.6. und 4.8.77; Zeitdienst, 6.5., 20.5. und 18.11.77; VO, 7.5.77; wf, 9.5. und 7.11.77; SP-Information, 19.5., 30.6., 6.10., 20.10. und 22.12.77; Presse vom, 3.6. und 1.10.77; Vr, 10.12.77.
von Peter Hablützel
Aktualisiert am 09.12.2024
Aktualisiert am 09.12.2024