Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA), der mit seinen 16'000 Mitgliedern gemäss NZZ «sämtliche wichtigen Berufsgruppen» der Branche vertritt und als «der mit Abstand bedeutendste Verband der Baubranche [...] tief in den Alltag der Bevölkerung eingreift», erhielt im Sommer 2024 eine neue Präsidentin. Mit Susanne Zenker wählten die Delegierten erstmals seit der Gründung des Vereins im Jahr 1837 eine Frau an dessen Spitze. Die Wahl erfolgte einstimmig, Zenker war die einzige Kandidatin gewesen. Vor der Wahl in der NZZ geäusserte Bedenken, ob Zenkers neues Amt Interessenkonflikte mit ihrer beruflichen Position als Geschäftsleitungsmitglied der SBB-Immobiliensparte bringen könnte, zerstreute diese, indem sie ihre SBB-Anstellung vor ihrem SIA-Amtsantritt am 1.7.2024 aufgab. Zenker löste an der Vereinsspitze die Co-Präsidenten Urs Rieder und Alain Oulevey ab, die den SIA seit dem Rücktritt des letzten ordentlichen Präsidenten Peter Dransfeld während 16 Monaten interimistisch geleitet hatten.
Zu den Hintergründen von Dransfelds Rücktritt waren in den Monaten vor Zenkers Wahl zwei grössere Presseartikel erschienen. Dieser war im Dezember 2022 nach bloss anderthalbjähriger Amtszeit für Aussenstehende überraschend und unvermittelt erfolgt und in einer Medienmitteilung mit «unterschiedlichen Führungsauffassungen» begründet worden. Wie nun deutlich wurde, lagen dem Schritt indessen weitergehende verbandsinterne Konflikte zugrunde, auch wenn ein interner Untersuchungsbericht, der offenbar für einen sechsstelligen Betrag erstellt worden war, aufgrund eines Beschlusses der Delegierten unter Verschluss blieb. Dransfeld selbst liess sich in der Presse mit der Aussage zitieren, er sei nicht wirklich freiwillig zurückgetreten, sondern andere Personen der Vereinsführung hätten ihn zum Rücktritt aufgefordert und ihm «die Ausübung [s]eines Amtes erschwert bis verunmöglicht». Seine parteipolitische Verortung – Dransfeld war der erste Grüne an der SIA-Spitze gewesen – habe dabei nach seiner eigenen Wahrnehmung keine Rolle gespielt. Vielmehr habe er während seiner Amtszeit Defizite im Umgang mit Interessenkonflikten, im Projektmanagement und beim Einbezug zuständiger interner Gremien sowie eine potenziell schädliche Kommunikationskultur im SIA festgestellt. Diesen Missständen habe er nachgehen wollen, sei dabei aber auf Widerstände gestossen und auch vom restlichen Vorstand gebremst worden.
Die NZZ glaubte, es sei «offensichtlich», dass Dransfelds Vorwürfe «insbesondere auf den SIA-Geschäftsführer Christoph Starck zielen». Die NZZ verwies auch darauf, dass Starcks Vorgänger 2019 nach bloss sieben Monaten unter nie offengelegten Umständen «gehen musste». Das Grundproblem ortete sie in den komplexen, historisch gewachsenen Strukturen des Verbands: Einen grossen Teil der Arbeit leisteten ehrenamtliche Expertinnen und Experten in 200 Kommissionen, und der Vorstand als formell wichtigstes Führungsorgan arbeite im Nebenamt. Faktisch habe sich die Macht deshalb zur professionalisierten Geschäftsstelle mit 60 Vollzeitstellen verschoben. «Die Geschäftsstelle macht die Politik, der Vorstand vertritt sie nach aussen», wie es ein interner Kritiker in der NZZ ausdrückte. Dransfeld sei mit seinem Versuch, zur statutengemässen Ordnung zurückzukehren, aufgelaufen.
Geschäftsführer Starck und Dransfelds interimistischer Nachfolger Rieder hielten dem in der Presse entgegen, von einer Machtballung bei der Geschäftsstelle könne «keine Rede sein». Der vertrauliche Untersuchungsbericht habe denn auch «keine Compliance- oder erheblichen Governance-Mängel» festgestellt. Die Verbesserungsvorschläge, die der Bericht mache, nehme man auf. Nach ihrer Darstellung waren die Differenzen mit Dransfeld «letztlich zwischenmenschlich» begründet.