Nationaler Wahlkampf 2011

Ein Novum stellte der starke Fokus auf die Ständeratswahlen dar. Wurden Ständeratswahlkämpfe bis anhin eher in den Kantonen ausgefochten, versuchte die SVP die Wahlen in die kleine Kammer zu einem nationalen Ereignis zu machen. An einer Medienkonferenz Anfang April kündigte die Volkspartei den Kampf gegen den «Linksrutsch der europhilen Dunkelkammer» an. Wenn die Wählerschaft einen EU-Beitritt verhindern wolle, müsse sie die SVP im Ständerat stärken. Die SVP versuchte, auch den eigentlich vorwiegend personenbezogenen Wahlkampf um den Ständerat mit Themen zu besetzen. Sie bekräftigte ihr Vorhaben, indem sie mit dem ehemaligen Bundesrat Christoph Blocher (ZH), Parteipräsident Toni Brunner (SG), Fraktionspräsident Caspar Baader (BL), dem ehemaligen Bundesratskandidaten Jean-François Rime (FR), Nationalrat Oskar Freysinger (VS), Neo-Ständerat Adrian Amstutz (BE; im Ständerat seit Frühjahr 2011) und Nationalrat Ulrich Giezendanner (AG) eigentliche Schwergewichte in den Ständeratswahlkampf schickte. Die Medien nahmen die Vorlage dankbar auf und schrieben fortan von einem «Sturm aufs Stöckli».

Ein weiteres aktuelles, aber von den Parteien nur wenig aufgenommenes Thema war der starke Franken. Aufgrund der Verwerfungen an den Devisenmärkten waren die Parteien gezwungen, Position zu beziehen, was sie allerdings aufgrund der wenig mobilisierenden Komplexität des Themas nur widerwillig taten. Zwar forderte etwa SP-Präsident Christian Levrat eine Anbindung des Frankens an den Euro und Christoph Blocher machte sich für ein Revitalisierungsprogramm stark, eine eigentliche Einbindung des aktuellen Themas in die Wahlagenda der Parteien fand aber nicht statt. Weil die Parteien lieber bei ihren Wahlkampf-Themen blieben, wurde die Frankenstärke trotz ihrer Bedeutung nicht zu einem Wahlkampfschlager.

Beobachter attestiertem dem Wahlkampf in der Schweiz eine zunehmende Professionalisierung. Die vermehrte Konzentration auf Personen statt auf Themen, die immer früher beginnenden Kampagnen, und der zunehmende Rückgriff auf Werbe- und Marktforschungsstrategien wurden als Zeichen dafür gedeutet. Im Gegensatz zu früheren Wahlen wurden die Kampagnen zudem stärker national organisiert. Alle Parteien hatten parteiinterne Wahlkampfteams, die eng mit den Kantonalsektionen zusammenarbeiteten und diese auf eine einheitliche Linie einschworen. Als besonders wichtig wurde die Medienarbeit der Parteien hervorgehoben, da mediale Beachtung Gratiswerbung darstelle.

Die Ankündigung des Rücktritts von Bundesrätin Micheline Calmy-Rey am 7. September belebte den Wahlkampf. Die SP konnte den Rücktritt und die Diskussionen um mögliche Nachfolgerinnen und Nachfolger geschickt für verstärkte Medienaufmerksamkeit nutzen.

Weil es vor vier Jahren aufgrund einer bewilligten Demonstration der SVP bzw. einer nicht bewilligten Gegendemonstration von linken Autonomen auf dem Bundesplatz zu heftigen Zwischenfällen und grossen Sachbeschädigungen gekommen war, wollte die Stadt Bern ein Demonstrations- und Veranstaltungsverbot auf dem Bundesplatz während des gesamten Monats Oktober verfügen. Dies nachdem im Januar sowohl die SVP als auch die SP Gesuche für die Nutzung des Bundesplatzes eingereicht hatten. Der Gemeinderat argumentierte, dass es im Sinne eines Nicht-Diskriminierungsgebots nicht seine Aufgabe sei festzulegen, welche Partei den Vorteil einer möglichst späten Kundgebung nutzen dürfe. Hatte sich die SVP zuerst gegen das Verbot gewehrt, gab sie in der Folge nach und wich auf den 10. September aus. Anstelle eines Umzuges plante sie lediglich ein «SVP-Familienfest» auf dem Bundesplatz. Linke Aktivisten planten zeitgleich ein «Ganz Fest gegen Rassismus» in der Reitschule. Die Polizeipräsenz war am entsprechenden Sonntag sehr hoch. Rund tausend Polizisten führten Personenkontrollen durch. Zu Ausschreitungen kam es zwar nicht, die Polizeikontrollen und die hohen Sicherheitskosten sorgten aber für viel Kritik.

Die Wahlhilfe «Smartvote» spielte wie bereits 2007 eine prominente Rolle im Wahlkampf. Praktisch täglich waren in den Medien die bekannten Spiderdiagramme abgedruckt, mit denen die Positionierung von Parteien und Kandidierenden erfasst wurde. Allerdings war die Online-Wahlhilfe zunehmender Kritik ausgesetzt. Zu Beginn des Wahlkampfes monierten einige Parteien den finanziellen Beitrag den sie zu leisten hatten. Kritisiert wurde auch die «Smartvotisierung» der Politik. Zudem schienen einige Parteien ihren Kandidierenden vorzuschreiben, wie sie den Smartvote-Fragebogen auszufüllen haben, der Grundlage für die Positionierungen von Parteien und Kandidierenden darstellte. Mit der Wahlplattform «Vimentis» erhielt «Smartvote» zudem Konkurrenz.

Wie bereits vor vier Jahren schaffte es die SVP auch bei den Wahlen 2011 die Zuwanderung zu einem der wichtigsten Wahlkampfthemen zu machen. Das Vorgehen der Volkspartei war dabei sehr ähnlich wie vor vier Jahren. Wieder wurde eine Initiative als zentrales Wahlkampfinstrument eingesetzt für die mit markigen Slogans und Karikaturen geworben wurde. Im Gegensatz zu den Schäfchenplakaten von vor vier Jahren nahmen allerdings weder die Medien noch die Öffentlichkeit den Ball auf. Die SVP versuchte zwar geschickt, aktuelle Ereignisse in ihren Anti-Zuwanderungs-Wahlkampf einzubauen (z.B. Messerattacke, Schweizerkreuz-Debatte, Verhandlungen zur Ausschaffungsinitiative), sie vermochte dabei aber nicht mehr wie vor vier Jahren mediale Reaktionen zu provozieren, die ihr zusätzliche Aufmerksamkeit generiert hätten. Dennoch zeigten Medienanalysen, dass über das Thema «Zuwanderung» in den Medien sehr häufig berichtet wurde. Die von der SVP geforderte Sondersession zum Thema Migration im Herbst verhalf dem Thema zudem kurz vor den Wahlen ebenfalls noch einmal zu Beachtung.

Noch nie wurden im Vorfeld der Wahlen derart viele Initiativen lanciert, die als Schwungräder des Wahlkampfes dienen sollten. Ganz im Zentrum des Wahlkampfes der SVP stand deren Masseneinwanderungsinitiative. Darüber hinaus reichte die Volkspartei während der Wahlkampfphase ihre Initiative zur Volkswahl des Bundesrates ein. Schliesslich beschloss sie an ihrem Parteitag Anfang Oktober, eine neue Ausschaffungsinitiative («Durchsetzungsinitiative») zu lancieren. Auch die anderen Parteien hatten Initiativen in ihrem Köcher. Die SP hatte noch 2010 ihre Cleantech-Initiative lanciert, die sie im September einreichte, was ihr zu einem wichtigen Zeitpunkt einige mediale Aufmerksamkeit bescherte. Anfang 2011 hatten die Sozialdemokraten zudem mit der Unterschriftensammlung zur Mindestlohn- und zur Krankenkasseninitiative (Einheitskrankenkasse) begonnen. Punkten wollte die SP auch mit der Ankündigung einer Kampfjetinitiative. Die CVP versuchte mit ihren beiden Familieninitiativen, die sie im Mai lancierte, zu mobilisieren und auch die FDP sammelte Unterschriften für ihre bereits Ende 2010 gestartete Bürokratiestopp-Initiative. Die Grünen versuchten mit zwei Initiativen (Grüne Wirtschaft und Atomausstieg) ihre Themenführerschaft in Umweltfragen zu festigen.

Der Entscheid des Parlaments, Militärkampfjets zu kaufen, wurde Ende August kurzfristig auch zu einem Thema des Wahlkampfs. Die SP-Delegierten beauftragten ihre Parteispitze Anfang Oktober dafür zu sorgen, dass der Kaufentscheid den Wahlberechtigten vorgelegt wird – sei es per Referendum oder per Initiative. Auch die Grünen bekundeten ihre Unterstützung für eine entsprechende Initiative, die von der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) bereits ein paar Wochen zuvor angekündigt worden war.

Für Wirbel sorgte die Weigerung einiger Printmedien, die SVP-«Messerschlitzerinserate» abzudrucken. Die SVP wollte mit dem Messerangriff eines Kosovaren auf einen Schweizer Werbung für ihre Masseneinwanderungsinitiative machen. Auch die SBB verweigerte der SVP zumindest teilweise die Plakatwerbung. Da die Volkspartei im August fast die gesamte Werbefläche des Hauptbahnhofes Zürich für ihre Wahlreklame gemietet hatte und sich Reisende ob der erdrückenden politischen Werbung beschwert hatten, entschloss die SBB, per Oktober eine neue Regelung einzuführen. Fortan sollten Parteien maximal die Hälfte der Werbefläche für sich beanspruchen dürfen. Die SBB revanchierte sich mit einer Einladung an alle Parteien, am 22. September die Bahnhofshalle als Wahlplattform zu nutzen.

Der Wahlkampf verlagerte sich auch in den virtuellen Raum. Soziale Medien (Social Media) wurden aber wenig systematisch genutzt. Vor allem junge und bereits bekannte Kandidierende setzten Facebook und Twitter für ihren Wahlkampf ein. Allerdings waren sich die meisten Parteien darin einig, dass die neuen sozialen Medien die traditionellen Wahlkampfinstrumente wie Standaktionen, Inserate und Plakate und vor allem die direkte Kommunikation auf der Strasse nicht ersetzen könnten. Die Selects-Befragung der Kandidierenden brachte zu Tage, dass rund ein Drittel der Kandidierenden eine eigene Homepage eingerichtet hatte. 19 Prozent unterhielten einen Blog und 52 Prozent gaben an, ein Facebook-Profil für die Wahlen aufgeschaltet zu haben.

Der Wahlkampf wurde in vielen Medien als lau bezeichnet. Dies sei unter anderem auch auf den wesentlich moderateren Ton der SVP im Vergleich zu vor vier Jahren zurückzuführen, der auch deshalb von der Volkspartei angeschlagen worden sei, weil sie ihren Angriff auf den Ständerat nicht zum Vornherein habe kompromittieren wollen. Darüber hinaus sei – anders als noch vor vier Jahren – kaum Empörung über den Wahlkampf der SVP laut geworden. Der gehässige und destruktive Ton, der vor vier Jahren angeschlagen worden sei, sei einer eher gesitteten, mit vielen Events gespickten Wahlshow gewichen. Nicht mehr Negativkampagnen, sondern oberflächliche Wahlfeste, an denen sich die Parteien selber in den Mittelpunkt stellten, seien im Zentrum gestanden. Dies hätte allerdings dazu geführt, dass klare und konkrete Profile nahezu fehlten. Profitiert hätten davon insbesondere die programmatisch unscharfen neuen kleinen Mitteparteien, die noch niemanden enttäuscht hätten. Die ehemals kantigen Parteien hätten es hingegen nicht mehr geschafft, breit zu mobilisieren.

Deutlich weniger präsent im Wahlkampf als vor vier Jahren waren die Bundesrätinnen und Bundesräte. Bei den Wahlen 2007 liessen sich Bundesrätin Leuthard (cvp) und Bundesrat Blocher (svp) von ihren Parteien noch als eigentliche Lokomotiven einsetzen. Bundesrat Maurer (svp) gab bereits im Januar des Berichtjahres bekannt, dass er diese Rolle nicht übernehmen werde. Das Exekutivgremium entschied sich in der Folge zwar gegen neue Regeln im geltenden Aide-Mémoire, das die Rolle der Regierung im Wahlkampf spezifiziert, mahnte aber für die einzelnen Mitglieder Zurückhaltung an. Zudem machte der Bundesrat seinen Entscheid von vor vier Jahren rückgängig, der es Regierungsmitgliedern erlaubt hatte, mit ihrem Konterfei auf Wahlplakaten für die eigene Partei Werbung zu machen. Auch die Bundesratswahlen waren im Vorfeld der Parlamentswahlen weit weniger prominentes Thema als noch vor vier Jahren.

Im ersten Halbjahr dominierte die Atomenergie den Wahlkampf. Die Atomkatastrophe in Fukushima und die Atomausstiegsdebatte in den Räten verhalfen dem Thema zu grosser Beachtung. In Vorwahlbefragungen profitierten die Grünen und die Grünliberalen von der Sensibilisierung der Wählerschaft hinsichtlich der Atomausstiegsfrage. Die eher atomfreundlichen SVP und FDP schnitten in diesen Umfragen entsprechend weniger gut ab. Allerdings schien das Thema in der zweiten Hälfte des Wahlkampfes, auch aufgrund der zunehmenden Negativschlagzeilen aus der Wirtschaft, eher wieder in den Hintergrund zu rücken. Hinzu kam, dass die weitgehende Einigkeit zwischen SP und CVP hinsichtlich der Zukunft der Atomenergie der Atomfrage Zündstoff entzog. Insbesondere die Grüne Partei schien mit Fortschreiten des Wahlkampfes keinen Nutzen aus dem Fukushima-Effekt mehr ziehen zu können. Daran änderte auch die in der Herbstsession im Ständerat gehaltene Sonderdebatte zum Atomausstieg nichts mehr.

Mit dem Thema Zuwanderung verknüpft wurden die Beziehungen zur EU. Anders als vor vier Jahren war die Europäische Union allerdings nicht mehr derart beherrschendes Thema im Wahlkampf. Lediglich die SVP hob immer wieder hervor, dass sie sich gegen einen Beitritt wehren würde. Die schwache Einbindung des Themas «Europäische Union» in den Wahlkampf war auch der Eurokrise geschuldet, die dazu geführt hatte, dass die früher eher positiv zur EU stehenden Parteien ebenfalls verhalten Kritik äusserten und sich des Themas nicht bedienten. In einzelnen Medien wurde gar eine allgemeine Euroskepsis festgestellt.

Für die vom Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) durchgeführte Sendung «Treffpunkt Bundesplatz» verlangte der Berner Gemeinderat keine Gebühren. Ziel der Sendung war es, mit diversen Sendungen die Parteien und Politiker, welche zu den National- und Ständeratswahlen antraten, zu präsentieren und ihnen auf den Zahn zu fühlen. Die Sendungen wurden zwischen dem 19. und dem 30. September live vom Bundesplatz ausgestrahlt. Die Einschaltquoten blieben allerdings unter den Erwartungen.

Für einige Diskussionen sorgte das von der Bundeskanzlei erstellte und an rund fünf Mio. Haushalte verschickte Wahlmagazin «In der Kürze liegt die Würze», das mit Vergleichen aus der Gastronomie das Wahlprozedere erklärte und die Parteien vorstellte. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Empörte Politiker, die sich verhöhnt fühlten, belustigte Kommentatoren, die den mobilisierenden Effekt der Appetitanregung hinterfragten, kritische Experten, die die Darstellungen und den Gehalt kritisierten sowie Kolumnisten, die den Mut der Bundeskanzlerin und die Idee der Hervorhebung der Gemeinsamkeiten von Politik und Kochkunst lobten, standen sich gegenüber.

Bereits der Wahlkampf von 2007 galt als teuerster aller Zeiten: geschätzte CHF 50 Mio. wurden damals insgesamt ausgegeben. Entsprechend war die Finanzierung der Wahlwerbung im Jahr 2011 ein beliebtes Medienthema. Bereits Mitte September präsentierte die Firma Media Focus eine Auszählung von Presseinseraten, Plakaten und Kinowahlwerbung von Mai bis August. Die SVP hatte dieser Analyse zur Folge bereits CHF 3.4 Mio. ausgegeben. Für die FDP wurden CHF 1.7 Mio., für die CVP CHF 1.3 Mio. und für die weit abgeschlagene SP CHF 0.2 Mio. geschätzt. Die Grünen (CHF 78'531), die GLP (CHF 30'291) und die BDP (CHF 8'257) hatten bis dahin laut Media Focus relativ geringe Summen ausgegeben. Eine Analyse des Tages Anzeigers der Wahlinserate in 16 Tages- und Sonntagszeitungen kurz vor den Wahlen kam zu ähnlichen Befunden: die SVP war für rund ein Drittel der Inseratewerbung verantwortlich (CHF 1.2 Mio.), gefolgt von der FDP (CHF 0.75 Mio.) und der SP (CHF 449'000). Die CVP (CHF 195'000), die BDP (CHF 165'000), die Grünen (CHF 92'000), die GLP (CHF 58'000) und die EVP (CHF 26'000) gaben zusammen weniger als die Hälfte der SVP für Inserate aus. Laut einer weiteren Untersuchung von Media-Focus hatten die Parteien im Monat September insgesamt über CHF 10 Mio. für Wahlwerbung ausgegeben. Die SVP (CHF 3.7 Mio.) und die FDP (CHF 2.7 Mio.) schafften es gar unter die zehn in diesem Monat meist beworbenen Produkte. Im Oktober stiegen laut Media Focus die gesamten Ausgaben dann noch einmal auf CHF 36.6 Mio. Eine genaue Schätzung der Ausgaben ist jedoch aufgrund der nach wie vor fehlenden Transparenz der Parteienfinanzierung kaum möglich. So wurden denn im Nachgang der Wahlen sehr unterschiedliche Zahlen genannt, die von rund 40 Mio. CHF bis hin zu 100 Mio. CHF Wahlausgaben reichten. Die Selects-Befragung der Kandidierenden zeigte, dass die Kandidatinnen und Kandidaten durchschnittlich etwa CHF 8'700 für den Wahlkampf aufwendeten. Dabei zeigten sich jedoch grosse Unterschiede. Gewählte wendeten im Schnitt rund CHF 38'000 auf, Nicht-Gewählte durchschnittlich CHF 7'000. Männer gaben rund CHF 3'000 mehr aus als Frauen und Kandidierende der SVP wendeten im Schnitt wesentlich mehr Mittel auf (CHF 20'000) als Kandidierende der FDP (CHF 16'000), der SP, CVP und BDP (je CHF 9'000), der Grünen (CHF 6'000) oder der GLP (CHF 5'000). Die Kandidierenden der SVP, der BDP und der FDP warfen diese Summen zu einem grossen Teil privat auf. Im Rahmen des immer teurer werdenden Wahlkampfes wurden auch immer mehr Stimmen laut, die sich für mehr Transparenz einsetzten. Verlangt wurden die Offenlegung von Wahlkampfspenden und griffige Parteienfinanzgesetze. Die Schweiz ist nach wie vor eines der wenigen demokratischen Länder, das keine Parteifinanzierungsgesetzgebung kennt.

Eine Analyse von mehr als 60 Schweizer Online-Print-Medien und Social-Media-Plattformen zeigte drei hauptsächliche Strategien, welche die Parteien anwendeten, um in den Medien zu erscheinen: Parteiereignisse wie Delegiertenversammlungen oder Wahlfeste, Auftritte von Parteiexponenten (Parteipräsidenten, Bundesrätinnen und Bundesräte) oder das Erzeugen von Ereignissen, die Reaktionen anderer Akteure provozierten. Die Analyse zeigte auf, dass Online vor allem über die SVP berichtet wurde, die alle drei Strategien anwendete. Mit der Analyse der Online-Medien liess sich zudem der Konjunkturzyklus der online-medial vermittelten Wahlkampfthemen nachzeichnen. Insgesamt – also von Juni bis Oktober – am meisten Aufmerksamkeit erhielten die Themen Energie, Migration und EU.

Breit medial rezipiert wurden jeweils die Wahlumfragen. Die SRG führte ihr Wahlbarometer in sieben Wellen von Oktober 2010 bis Oktober 2011 durch. Grosse Veränderungen konnten jeweils kaum ausgemacht werden. Für die SP und die SVP wurden leichte Gewinne und für die FDP und die CVP Verluste prognostiziert. Für die neuen Mitteparteien wurde ein gutes Ergebnis erwartet. Die Veränderungen im Vergleich zu 2007 lagen aber in aller Regel innerhalb der Fehlerbereiche. Trotzdem stiess die Abweichung zwischen der letzten Wahlprognose zehn Tage vor den Wahlen und dem effektiven Wahlergebnis bei den Parteien auf Kritik. So wurde für die SVP Mitte Oktober ein Wähleranteil von 29.3 Prozent prognostiziert, also rund 3 Prozentpunkte zu hoch, was die SVP zu einer harschen Kritik veranlasste: Umfragen seien schädlich, weil einflussnehmend. Gfs Bern, welche die Umfragen durchgeführt hatte, führte die Unterschiede auf die schlechtere Mobilisierung der in der Umfrage noch unentschiedenen Wählenden durch die SVP zurück. Als präziser als die Umfragen erwiesen sich die so genannten Wahlbörsen bei denen statt mit Firmenaktien mit imaginären Parteiaktien gehandelt werden konnte.

In die Kritik gerieten auch die zahlreichen Politexperten, die von den Medien zunehmend als «Denkprothesen» verwendet und zu zahlreichen Begebenheiten befragt wurden. Einige Diskussionen verursachte zudem die Darstellung einer zweiachsigen politischen Landkarte, auf der die Nationalrätinnen und Nationalräte basierend auf Parlaments-Schlussabstimmungen auf einer Links-Rechts- und einer Liberal-Konservativ-Achse abgetragen waren. Eine ähnliche Abbildung fand sich auch in der Wahlbroschüre des Bundes. Zu reden gab dabei die Anordnung und die Messung der Achsen, welche einige Nationalrätinnen und Nationalräte der SP und der GP als konservativer abbildete als jene der SVP.

Rücktritte Eidgenössische Wahlen 2011

Vor allem die Jungparteien kritisierten den Umstand, dass einige langjährige Nationalrätinnen und Nationalräte noch einmal kandidierten. So trat etwa die SVP mit Toni Bortoluzzi (svp, ZH), Max Binder (svp, ZH), Roland F. Borer (svp, SO), Ulrich Giezendanner (svp, AG) und Luzi Stamm (svp, AG) mit fünf Kandidierenden an, die seit 20 Jahren in der grossen Kammer sitzen. Auch der wieder kandidierende Christoph Blocher sass schon 24 Jahre im Nationalrat und der 80-Jährige Jacques Neirynck (cvp, VD), der von 1999 bis 2003 und von 2007 bis 2011 in der grossen Kammer sass, kandidierte ebenfalls noch einmal. Die Ankündigungen von Anita Thanei (sp, ZH) und Andreas Gross (sp, ZH), für eine sechste Legislatur zu kandidieren führten innerhalb der Zürcher Kantonalpartei zu einem neuen Verfahren: Ab zwölf Amtsjahren muss zwei Drittel der Delegiertenstimmen hinter sich vereinen, wer erneut für den Nationalrat kandidieren will. Dieser Regel fiel Thanei, nicht aber Gross zum Opfer. Die Tessiner FDP kennt eine parteiinterne Amtszeitbeschränkung von zwölf Jahren, was für den Parteipräsidenten Fulvio Pelli den Rücktritt bedeutet hätte. Die Partei entschied allerdings, dass Pelli als Parteipräsident der FDP Schweiz erneut für die Kandidatur zugelassen werden sollte.

Für die Wahlen 2011 traten 38 Nationalrätinnen und Nationalräte und 12 Ständerätinnen und Ständeräte nicht mehr an. Damit gab es 2011 mehr Rücktritte als 2007; vor vier Jahren traten gesamthaft 24 Volks- und 14 Kantonsvertreterinnen und -vertreter zurück.

In drei Kantonen mussten mindestens die Hälfte der Nationalratssitze ersetzt werden: im Kanton Tessin (vier von acht), in Graubünden (drei von fünf) und im Kanton Schwyz (zwei von vier). Kein Sitz frei wurde in den Kantonen Wallis, Zug, Schaffhausen, Neuenburg und Basel-Stadt. Den grössten Aderlass an bisherigen Nationalräten hatte die FDP zu verkraften (10 Rücktritte). Von der SVP, der SP und der CVP traten je acht Volksvertreterinnen und -vertreter nicht mehr an. Die Grünen mussten zwei Rücktritte verteidigen und die BDP und die PdA je einen. André Daguet (sp, BE) war zudem bereits per Ende Frühlingssession zurückgetreten, auch um damit dem nachrückenden Corrado Pardini die Wahlchancen zu verbessern.

Aus der kleinen Kammer traten sechs Kantonsvertreter der FDP (Briner, SH; Büttiker, SO; Forster, SG; Leumann, LU; Marty, TI und Schweiger, ZG), sowie je drei von der CVP (Inderkum, UR; Maissen, GR; Stähelin, TG) und der SVP (Brändli, GR; Bürgi TG und Reimann, AG, der mit Nationalrat Giezendanner eine Rochade plante) zurück.

Kandidaturen und Listen - Eidgenösissche Wahlen 2011

Gegenläufig zur starken Zunahme der Zahl an Listen und Kandidierenden war der Frauenanteil unter der Anwärterschaft auf einen Sitz im Bundeshaus. Waren 2007 insgesamt noch 35.2 Prozent aller für den Nationalrat Kandidierenden Frauen, lag dieser Anteil 2011 noch bei 32.8 Prozent. Der höchste Kandidatinnenanteil fand sich im Kanton Genf (37.6%) und am wenigsten Frauen kandidierten im Kanton Schaffhausen (23.8%). Der traditionell niedrigere Frauenanteil in der kleinen Kammer (im Vergleich zum Nationalrat) spiegelte sich auch bei den Ständeratskandidaturen wieder: Lediglich 19.1 Prozent der Kandidierenden für die ersten Wahlgänge waren Frauen. Damit kam es auch bei den Ständeratswahlen zu einem Rückgang im Vergleich zu den ordentlichen Wahlen von 2007 (22.5%). Die Frauenanteile variierten stark zwischen den Parteien. Waren bei der SP 46.6 Prozent der Kandidierenden Frauen, betrug dieser Anteil bei der CVP 34.3 Prozent, bei der FDP 24.5 Prozent und bei der SVP 18.5 Prozent. Der höchste Frauenanteil kandidierte bei den Grünen (48.6%). Die GLP (31.5%) und die BDP (20.5%) reihten sich hinsichtlich ihres Frauenanteils bei den Kandidierenden in der Mitte ein.

Der Trend zu immer mehr Kandidierenden auf immer mehr Listen hielt auch bei den Eidgenössischen Wahlen 2011 an. Berücksichtigt man lediglich die Kantone mit mehr als einem Sitz (alle ausser UR, OW, NW, GL, AI, AR) bewarben sich insgesamt 3'458 Personen auf total 365 Listen für die verbleibenden 194 Nationalratssitze (2007: 3'089 Personen auf 311 Listen). Die Zunahme der Listen war dabei nicht primär einer Zunahme von politischen Gruppierungen, sondern der Strategie der Parteien geschuldet, die zahlreiche Unterlisten präsentierten. Für die sechs Sitze in den Kantonen mit Einerwahlkreis wurden insgesamt 14 Kandidaturen eingereicht. Auch für den Ständerat nahm die Zahl der Bewerbungen zu. Insgesamt kandidierten für die ersten Wahlgänge 152 Personen (2007: 142).

Die häufigste Art von Unterlisten waren altersspezifische Listen. Rund ein Viertel aller Listen waren entsprechend Jugendlisten (95) oder Seniorenlisten (5). Regionallisten gab es total 38. Getrennte Frauen- und Männerlisten waren ausser Mode geraten: Es gab nur noch 5 Geschlechterlisten, 2007 waren es noch 22. Einen Boom erlebten auch die internationalen Listen.

Auch aufgrund der zahlreichen Jugendlisten war das Durchschnittsalter der Kandidierenden mit 40.5 leicht tiefer als bei den Wahlen 2007 (41 Jahre). Männliche Kandidaten waren dabei durchschnittlich nur unwesentlich älter als die Kandidatinnen (Männer: 41 Jahre, Frauen 39 Jahre). Rund 200 Kandidierende waren zwischen 18 und 20 Jahre alt. In der Kategorie zwischen 20 und 30 Jahren fanden sich weit über 1'000 Personen. 54 Kandidatinnen und Kandidaten waren älter als 70 Jahre, der älteste mit Jahrgang 1928.

Bei den Wahlen im Herbst kam es zudem zu zahlreichen Doppelkandidaturen und Wechselabsichten: 27 amtierende Nationalrätinnen und Nationalräte kandidierten 2011 sowohl für den Nationalrat wie auch für den Ständerat. Drei amtierende Nationalräte kandidierten neu lediglich für die kleine Kammer und ein amtierender Ständerat wollte in die grosse Kammer gewählt werden.

Schweizweit am meisten Kandidierende stellte die FDP (445 Personen auf 49 Listen), gefolgt von der SP (433 Personen, 49 Listen), der CVP (396 Personen, 46 Listen), den Grünen (391, 40 Listen) und der SVP (390 Personen, 47 Listen). Für die GLP kandidierten etwas weniger Personen (241, 21 Listen) als für die EVP (243, 18 Listen) und die BDP war mit weniger Kandidierenden vertreten (151, 16 Listen) als die EDU (164, 13 Listen). Die PdA trat mit 100 Kandidierenden auf sechs Listen an und für die SD kandidierten 72 Personen ebenfalls auf sechs Listen. Die CSP präsentierte 35 Kandidierende auf vier Listen und die Lega portierte acht Kandidierende auf einer Liste. Die restlichen 389 Kandidaten stammten von anderen, kleineren Gruppierungen, die mit total 49 Listen vertreten waren.

Einen neuen Rekord stellte auch die Zahl der kandidierenden Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer dar: 69 Kandidierende auf 14 separaten Listen und 6 Einzelkandidaturen wurden eingereicht (2007: 44 Kandidierende). Vor allem die etablierten Parteien entdeckten das Potenzial der Wählerschaft im Ausland, lebt doch rund jeder zehnte Schweizer Wahlberechtigte ausserhalb seines Heimatlandes. Insbesondere die SVP (8 Listen mit 43 Kandidierenden in AG, BS, GE, GR, SH, SO, SZ, ZH) und die SP (3 Listen mit 14 Kandidierenden in GE, SH, ZH), aber auch die CVP (2 Listen mit 6 Kandidierenden in AG, GE) und die Grünen (1 Liste mit 6 Kandidierenden in GE) versuchten das Potenzial zu nutzen. Keiner der Kandidierenden, die vorwiegend aus Frankreich (20) und Deutschland (10) stammten, schaffte allerdings die Wahl.

Wie vor vier Jahren kam es in praktisch allen Kantonen mit mehr als einem Nationalratssitz zu einer Listenverbindung zwischen der SP und den Grünen. Einzig im Tessin und im Aargau fanden sich Sozialdemokraten und GP nicht. Die einst fast traditionelle bürgerliche Allianz zwischen FDP, CVP und SVP war hingegen nur noch im Kanton Waadt anzutreffen. Die FDP hatte sich – im Gegensatz zu 2007 – von der SVP losgesagt. Vor vier Jahren gab es noch in nicht weniger als neun Kantonen (ZH, BE, BS, BL, AG, TG, VD, NE, JU) Verbindungen zwischen Freisinn und Volkspartei. Während die SVP 2011 in acht Kantonen mit der EDU und im Tessin mit der Lega alliierte, suchte die FDP Partnerinnen in der Mitte. Fündig wurde sie dabei allerdings lediglich drei Mal in der BDP (SO, NE, SZ) und vier Mal in der CVP (ZG, SH, NE, GE). In allen anderen Kantonen wagte der Freisinn einen Alleingang und begründete dies damit, dass er das liberale Potenzial nicht verwässern wolle. Heiss umworben als Listenpartner waren die beiden neuen Herausforderinnen BDP und GLP, die verschiedenste Zweckbündnisse mit der CVP, der EVP, aber auch der FDP eingingen. Ein Thema in der Presse waren dabei insbesondere die Gespräche zwischen CVP und BDP, bei denen auch taktische Momente hinsichtlich des BDP-Bundesratssitzes vermutet wurden. Im Kanton Aargau verband sich die GLP mit den Grünen und im Kanton Graubünden zusätzlich noch mit der SP. Im Grossen und Ganzen zeichneten die Listenverbindungen in den Kantonen taktische Einigung bei der Linken, eine gespaltene Rechte und eine relativ bunte Mitte nach.

Unter den Kandidierenden fanden sich einige prominente Quereinsteiger. In Bern trat der Fernsehmoderator Matthias Aebischer für die SP an und wollte es seinen Vorgängern Filippo Leutenegger (fdp, ZH, 2011 wiedergewählt), Maximilian Reimann (svp, AG, 2011 wiedergewählt), Anton Schaller (ldu, ZH, bis 1999) oder Werner Vetterli (svp, ZH, bis 1999) gleichtun, die ebenfalls den Sprung vom Fernsehstudio in die Politik geschafft hatten. Ein ehemaliger Skirennfahrer (Paul Accola, svp, GR), ein Herzchirurg (Thierry Carrel, fdp, BE), der Präsident der Ärzteverbindung FMH (Jacques de Haller, sp, BE) ein Kriminologe (Martin Kilias, sp, AG) und der parteilose Vater der Abzocker-Initiative (Thomas Minder, SH) wollten von ihrer Bekanntheit Profit ziehen und direkt in die nationale politische Arena einsteigen. Zudem lächelten einige bekannte Köpfe von den Wahlplakaten, die sich einen Wiedereinstieg erhofften, allen voran Christoph Blocher (svp, ZH) aber auch Alexander Tschäppät (sp, BE), Christoph Eymann (lp, BS), Silva Semadeni (sp, GR) oder die erste grüne Nationalrätin aus Solothurn, Marguerite Misteli.

Obwohl die bürgerliche Zusammenarbeit nicht mehr so gut funktionierte wie vor vier Jahren, nahm die Anzahl an Listenverbindungen zu. 2011 kam es zu total 135 Verbindungen verschiedener Parteien (ohne Unterlistenverbindungen). 2007 lag diese Zahl bei 116 (inklusive der 5 Verbindungen der damals noch nicht fusionierten FDP und LPS). Die hohe Zahl war insbesondere den taktischen Verbindungen der GLP (28 Verbindungen mit acht unterschiedlichen Parteien) und der BDP (29 Verbindungen mit sechs unterschiedlichen Parteien) geschuldet. Die Erfolge gaben den beiden Parteien zwar recht – nicht weniger als sechs Sitze der GLP wären ohne Listenverbindungen nicht zu Stande gekommen – die rein strategischen und wenig inhaltlichen Verbindungen stiessen hingegen auch auf Kritik. Verzerrungen im Sinne von Differenzen zwischen nationaler Wählerstärke und Sitzanteilen sind bei Nationalratswahlen normal und auf unterschiedliche Wahlkreisgrössen mit unterschiedlich hohen Wahlhürden sowie auf die Möglichkeit von Listenverbindungen zurückzuführen. Es ist dann jeweils von Proporzglück oder Proporzpech die Rede, was je nachdem als stossend oder gar «ungerecht» empfunden wird. So büssten etwa die Grünen mit einem Verlust von 1.2 Wählerprozenten ganze fünf Sitze ein, während die SP mit einem ähnlichen Verlust von 0.8 Wählerprozenten drei Sitze zulegen konnte. In den Kantonen waren die Verzerrungen teilweise noch extremer. So konnten die Grünen etwa im Kanton Basel-Stadt mit 13.4 Prozent mehr als doppelt so viele Wählerinnen und Wähler hinter sich vereinen als die Baselstädtische CVP (6.5%). Trotzdem verloren die Grünen ihren Sitz und die CVP konnte – dank geschickter Listenverbindung – einen Sitz gewinnen. Die Unterschiede in der Wahlkreisgrösse und die inhaltlichen und taktischen Listenverbindungen führten bei den Wahlen 2011 zu folgenden nationalen Verteilungen. Proporzglück hatte, wie schon mehrfach in der Vergangenheit, die SP, die 18.7 Prozent der Wähleranteile aber 23 Prozent der Sitze für sich gewinnen konnte. Auch die CVP war – gemessen an ihrem Wähleranteil (12.3%) im Nationalrat übervertreten (14% der Sitze). Proportionaler war die Vertretung der SVP (26.6% Wähleranteil und 27% Sitzanteil) und der FDP (15.1% Wähleranteil und 15% Sitzanteil). Auch die GLP profitierte von ihren Listenverbindungen (5.4% Wähleranteil und 6% Sitzanteil), während die BDP (5.4% Wähleranteil und 4.5% Sitzanteil) und die Grünen (8.4% Wähleranteil und 7.5% Sitzanteil) eher Proporzpech zu beklagen hatten. In den Medien wurde die Prüfung eines alternativen Wahlsystems angemahnt, mit dem diese Verzerrungen kleiner und taktische Listenverbindungen nicht mehr möglich wären. Mit dem so genannten doppelten Pukelsheim hätten auch kleinere Parteien in kleinen Wahlkreisen bessere Wahlchancen, was sich auch positiv auf den Wettbewerb auswirken würde. Mit diesem auch in einigen Kantonen schon eingeführten System werden die Sitze in einem ersten Schritt aufgrund nationaler Wählerstärken verteilt, bevor sie im zweiten Schritt auf Listen umgerechnet werden.

Die gewachsene Anzahl an Kandidierenden für die kleine Kammer bedeutete auch verstärkten Wettbewerb. War es bei den Ständeratswahlen 2007 noch in fünf Kantonen zu stillen Wahlen (NW, OW) oder zu Wahlen ohne Herausforderer (AR, GL, UR) gekommen, war dies für die Ständeratswahlen von 2011 nur noch in zwei Kantonen der Fall (AR, NW). In nicht weniger als 13 Kantonen mussten zweite Wahlgänge entscheiden, weil sich die Stimmen in den ersten Umgängen zu stark verteilten, und so die absoluten Mehrheiten nicht von zwei Kandidaten erreicht wurden. Auch dies kann – im Vergleich mit 2007, als es in acht Kantonen zu zweiten Wahlgängen kam – als Indiz für einen zunehmenden Wettbewerb um die Sitze in der kleinen Kammer gedeutet werden.

Resultate Nationalratswahlen 2011 (nach Parteien)

Zum ersten Mal seit 1991 konnte die SVP nicht mehr an Wählerprozenten zulegen. Ihr Wähleranteil brach im Gegenteil gesamtschweizerisch von 28.9 Prozent (2007) auf 26.6 Prozent ein, was ihr insgesamt 54 Mandate einbrachte. Im Vergleich zu den Wahlen 2007 kam dies einem Minus von acht Sitzen gleich. Allerdings waren der Volkspartei aufgrund der Abspaltung der BDP bereits im Laufe der Legislatur vier Sitze verlustig gegangen (je zwei in Bern und in Graubünden). Aufgrund des Übertritts von Nationalrat Thomas Müller (SG) von der CVP zur SVP hielt die Partei vor den Wahlen also 59 Mandate. Der unmittelbare Sitzverlust betrug somit fünf Sitze. Leicht zulegen konnte die SVP in einigen Westschweizer Kantonen, im Tessin und / oder in jenen Kantonen, in denen die BDP nicht antrat (AR, SH, NW, OW, TI, VS, VD, JU). Ausnahme von diesem Muster bildete Genf wo das Mouvement Citoyens Romand (MCR) einen Teil der Stammwählerschaft der SVP für sich gewinnen konnte. Trotz der Verluste blieb die SVP aber die mit Abstand stärkste Partei im Nationalrat.

Zweitstärkste Partei blieb die SP, die im Vergleich zu 2007 0.8 Prozentpunkte an Wählerinnen und Wählern einbüsste. Mit 18.7 Prozent Wähleranteil erzielte sie das drittschlechteste Resultat ihrer Geschichte. Dank Proporzglück konnte die SP aber im Vergleich zu 2007 dennoch drei Sitzgewinne verzeichnen. Dieser Gewinn ist umso eindrücklicher, wenn bedacht wird, dass die Sozialdemokraten im Verlauf der Legislatur zwei Sitze verloren hatten: Der Glarner Sitz ging nach dem Rücktritt von Werner Marti (2009) an die BDP und mit dem Parteiaustritt von Ricardo Lumengo (BE) ging der SP 2010 ein weiterer Sitz verlustig. Im Vergleich zur letzten Session vor den Wahlen konnten sich die Sozialdemokraten also sogar über den Gewinn von fünf Sitzen freuen. Wichtige Wählergewinne konnte die SP insbesondere in den Kantonen Freiburg (+4 Prozentpunkte), Waadt (+ 3.2 Prozentpunkte) und St. Gallen (+2 Prozentpunkte) verbuchen. Allerdings war der Wähleranteil in nicht weniger als 14 Kantonen rückläufig.

Zu den grossen Gewinnerinnen der Nationalratswahlen 2011 gehörten die BDP und die GLP. Beide konnten gesamtschweizerisch jeweils 5.4 Prozent der Wählerschaft von sich überzeugen. Die GLP erhielt dabei zwölf und die BDP neun Mandate. Im Vergleich zu 2007 bedeutete dies für beide Parteien den Gewinn von neun Sitzen. Freilich war die BDP aufgrund der Abspaltung von der SVP bereits vor den Wahlen mit fünf Sitzen in der grossen Kammer (je 2 Sitze aus Bern und Graubünden und 1 Sitz aus Glarus) vertreten. Die Gewinne der beiden neuen Mitteparteien gingen auch auf Kosten der beiden traditionellen bürgerlichen Parteien.

Der Wähleranteil der CVP ging gesamtschweizerisch von 14.5 Prozent auf 12.3 Prozent zurück. Das ist das schlechteste Resultat für die CVP seit der Einführung der Proporzwahlen 1919. Damit einher ging – verglichen mit 2007 – ein Verlust von drei Sitzen. Neu kam die CVP auf 28 Sitze, wobei sie aufgrund des oben erwähnten Parteiwechsels von Thomas Müller unmittelbar vor den Wahlen nur noch über 30 Sitze verfügt hatte.

Die Verluste der FDP hielten sich in Grenzen. Der Wähleranteil von 15.1 Prozent war lediglich 0.7 Prozentpunkte tiefer als nach den Wahlen 2007, Verglichen mit den letzten Wahlen verlor die FDP damit einen Sitz und kam neu auf 30 Mandate. Allerdings profitierte der Freisinn von der Fusion mit der LPS (in VS, NE und GE). Dank dieser Fusion konnte sich die FDP vor allem in der Westschweiz verbessern. Im Kanton Neuenburg etablierte sie sich als stärkste Partei. Noch keine Fusion gab es zum Zeitpunkt der Wahlen in den Kantonen Waadt und Basel-Stadt. Trotzdem konnte die FDP auch in diesen Kantonen zulegen. Die LPS büsste in diesen beiden Kantonen hingegen jeweils 2.3 Prozentpunkte ein, konnte damit jedoch ihren Sitz im Kanton Waadt verteidigen. Der Sitz von Fathi Derder wird seit der Fusion 2012 offiziell allerdings der FDP zugerechnet.

Zu den Verlierern der Wahlen 2011 gehörten auch die Grünen. Bei den letzten Wahlen 2007 konnten sie ihren Wähleranteil nicht nur fast verdoppeln, sondern hatten auch viel Proporzglück. Dieses wendete sich 2011 allerdings in Proporzpech. Die GP verlor 1.2 Prozentpunkte und kam neu auf 8.4 Prozent Wählerstimmenanteil, was freilich immer noch zweitbestes Resultat in der jungen Geschichte der Grünen Partei darstellt. Allerdings hatten die Grünen den Verlust von fünf Sitzen zu beklagen (neu: 15 Sitze).

Die EVP konnte trotz leichten Wählerverlusten (–0.4 Prozentpunkte, neu: 2%) ihre beiden Mandate in den Kantonen Zürich und Bern halten. Die CSP, die als eigenständige Partei nur in den Kantonen Zürich Freiburg und Wallis angetreten war, musste ihren seit 1991 gehaltenen Freiburger Sitz abgeben. Gesamtschweizerisch kamen die Christlichsozialen noch auf 0.3 Prozent Wähleranteil (–0.1 Prozentpunkte). Die CSP-Obwalden zählt sich nicht zur CSP Schweiz.

Die kleinen linken Polparteien, die in vielen Kantonen als Alternative Linke auftraten, konnten den ursprünglichen PdA-Sitz des zurückgetretenen Josef Zysiadis (VD) nicht halten und sind im Nationalrat nicht mehr vertreten. Die gesamtschweizerischen 0.8 Prozent Wähleranteil (–0.3 Prozentpunkte; inkl. Sol.) der linken Gruppierungen reichten nicht mehr für einen Sitz. Auch die seit 1991 in der grossen Kammer vertretene EDU musste – obwohl sie ihren Wähleranteil bei 1.3 Prozent halten konnte – ihren Sitz abgeben. Am rechten Rand zugelegt hatten dafür zwei regionale Parteien: die LEGA holte im Kanton Tessin 17.5 Prozent Wähleranteile (+3.5 Prozentpunkte), was zum Gewinn eines weiteren Sitzes reichte (neu: 2 Sitze) und einer gesamtschweizerischen Stärke von 0.8 Prozent entsprach (+0.2 Prozentpunkte). Der in den Kantonen Genf und Waadt antretende Mouvement Citoyens Romand (MCR) kam auf eine nationale Parteienstärke von 0.4 Prozent und eroberte in Genf, wo die Bewegung 9.8 Prozent der Wählerschaft auf sich vereinen konnte (+7.3 Prozentpunkte), einen Sitz und war somit erstmals im Nationalrat vertreten. Die SD, die ihren Sitz 2007 verloren hatte, konnte diesen mit 0.2 Prozent Wählerstimmenanteil nicht zurückerobern (2007: 0.5%). Die kurz vor den Wahlen, aufgrund des Parteiaustritts von Ricardo Lumengo gegründete und nur im Kanton Bern antretende SLB (Sozio-liberale Bewegung) hatte keine Chance, ihren Sitz zu verteidigen.

Der Ausgang der Wahlen wurde in der Presse als Zeichen für ein Ende der Polarisierung und als Stärkung einer neuen Mitte interpretiert. Abhängig von der Zuteilung der Parteien zu den drei Blöcken Rechts (SVP, SD, EDU, Lega, MCR), Mitte (CVP, FDP, GLP, BDP, LPS, EVP, CSP) und Links (SP, GP, AL) können tatsächlich Verschiebungen hin zur Mitte festgestellt werden. Das rechte Lager erzielte 2011 einen Stimmenanteil von 29.3 Prozent, was im Vergleich zu 2007 einer Abnahme von 2.1 Prozentpunkten entspricht. Das links-grüne Lager musste im Vergleich zu den letzten nationalen Wahlen einen Rückgang von 2.3 Prozentpunkten in Kauf nehmen (neu: 27.9%). In den letzten 30 Jahren hatte Links-Grün nur 1971 (25.9%) und 1991 (27.5%) noch schlechter abgeschnitten. Die Mitte konnte dank den Gewinnen von BDP und GLP um 4.1 Prozentpunkte zulegen und kam neu auf 40.5 Prozent Wähleranteile. Ein Vergleich der drei Sprachregionen zeigt allerdings unterschiedliche Erfolge und Anteile der drei Blöcke. In der Deutschschweiz waren die Verschiebungen markanter als in der gesamten Schweiz (Links: 25.7%, –3 Prozentpunkte; Rechts: 31.1%, –3,7 Prozentpunkte; Mitte: 40.6%, +5.6 Prozentpunkte). In der Westschweiz waren die Verluste von Links (37.1%, –0.8 Prozentpunkte) und die Gewinne der Mitte (38.6%, +0.8 Prozentpunkte) etwas geringer, während das rechte Lager in der französischen Schweiz sogar noch etwas zulegte (22.9%, +0.7 Prozentpunkte). In der italienischsprachigen Schweiz gewannen Rechts (27.2% +4.1 Prozentpunkte) und Links (24.8%, +0.5 Prozentpunkte) und die Mitte verlor sogar sieben Prozentpunkte (44.7%). Zum ersten Mal überhaupt vertrat das rechte Lager im Tessin mehr als einen Viertel der Wählerschaft und wusste die Mitte weniger als die Hälfte der Wählerinnen und Wähler hinter sich.

Überblick Eidgenössische Wahlen 2011

Bei den Nationalratswahlen vom 23. Oktober 2011 mussten die grossen Parteien Verluste hinnehmen. Wahlsiegerinnen waren die kleinen Mitteparteien GLP und BDP, die beide je 5.4 Prozent der Wahlbevölkerung von sich überzeugen konnten. Die GLP ist neu mit zwölf und die BDP mit neun Sitzen im Nationalrat vertreten. Zum ersten Mal seit 1991 musste die SVP einen Dämpfer hinnehmen. Zwar legte sie in einigen Kantonen im Vergleich zu den Wahlen 2007 an Wähleranteilen zu, verlor aber insgesamt 2.3 Prozentpunkte und kam gesamtschweizerisch neu auf 26.6 Prozent, was 54 Sitzen in der grossen Kammer entspricht. Die Verluste der SP hielten sich – nachdem sie 2007 fast vier Prozentpunkte eingebüsst hatte – mit –0.8 Prozentpunkten in Grenzen. Neu wissen die Sozialdemokraten 18.7 Prozent der Wählerschaft hinter sich, die sie mit 46 Sitzen vertreten. Dank Proporzglück konnte die SP, trotz tieferer Wählerstärke, drei Sitze hinzugewinnen. Der Niedergang der beiden Traditionsparteien FDP und CVP konnte auch 2011 nicht aufgehalten werden. Beide mussten einen historischen Tiefstand in ihrem Wähleranteil seit Einführung des Proporzwahlrechts (1919) hinnehmen. Der Freisinn hielt dank der Fusion mit der Liberalen Partei (LPS) die Verluste mit –0.7 Wählerprozentpunkten allerdings in Grenzen (neu: 15.1%). Er verlor in der grossen Kammer lediglich einen Sitz (neu: 30 Sitze) und verfügt damit über zwei Sitze mehr als die CVP, die drei Sitze und 2.2 Prozentpunkte verlor (neu: 28 Sitze; 12.3%). Die Grünen hatten auch unter der Konkurrenz der GLP zu leiden und verloren 1.2 Prozentpunkte. Das Proporzglück, von dem die GPS 2007 profitiert hatte, wandelte sich bei den diesjährigen Wahlen in Proporzpech, was sich in einem Verlust von fünf Sitzen manifestierte (neu: 15 Sitze). Bei den kleineren Parteien gehörten die Lega und der MCR zu den Gewinnerinnen. Während die Tessiner Rechtspartei einen Sitz gewinnen konnte und mit einem nationalen Wähleranteil von 0.8% (+0.2 Prozentpunkte) neu zwei Mandate in Bern hält, nimmt das nur in den Kantonen Genf und Waadt angetretene Mouvement Citoyens Romand mit 0.4 Wählerprozenten zum ersten Mal mit einem Mandat in Bern Einsitz. Ihre Sitze halten konnte die EVP (2 Sitze, 2%). Nicht mehr im Parlament vertreten ist die CSP. Die CSP-Obwalden, die ein Mandat gewinnen konnte, gehört offiziell nicht der CSP Schweiz an, sondern gilt als regionale Gruppierung. Sie hat sich der CVP-Fraktion angeschlossen. Ihren jeweiligen Sitz verloren haben auch die Polparteien EDU und PdA. Insgesamt wurde das Wahlergebnis als Stärkung der Mitte und als Ende der Polarisierung interpretiert. Gleichzeitig kam es aber auch zu einer Zersplitterung der Mitte.

Zum ersten Mal seit Einführung des Frauenstimmrechts im Jahr 1971 nahm der Frauenantei im Nationalrat ab und zwar von 29.5 Prozent auf 29.0 Prozent (–1 Sitz). Von den 200 Gewählten waren 58 Frauen. Auch im Ständerat war der Frauenanteil rückgängig; nach 2007 zum zweiten Mal in Folge. In der kleinen Kammer sassen noch neun Frauen, was einem Anteil von 19.5 Prozent entspricht (2007: 21.7%). Insgesamt sind damit im Parlament 67 der 246 Sitze von Frauen besetzt (27.2%; 2007: 28%).

Die Resultate der Ständeratswahlen 2011 standen erst Anfang Dezember nach einer rekordhohen Anzahl zweiter Wahlgänge (13) fest. Auch hier musste die SVP eine Niederlage einstecken. Ihr Ziel, mit grossen, polarisierenden Namen einen von den Medien kolportierten «Sturm aufs Stöckli» anzutreten, misslang, und die Volkspartei musste im Vergleich zu 2007 sogar den Verlust von zwei Sitzen in der kleinen Kammer verkraften (neu: 5 Sitze), wobei der eine der beiden bereits 2008 durch die Abspaltung der BDP verlustig gegangen war. Das gleiche Schicksal eines Verlustes von zwei Sitzen ereilte die CVP, die allerdings mit 13 Ständeräten die stärkste Kraft in der kleinen Kammer bleibt. Gewinnerin der Ständeratswahlen war die SP, die mit zwei zusätzlichen Sitzen auf die gleiche Anzahl Sitze kommt wie die FDP, die einen Sitz verlor (neu: 11 Sitze). Die GLP konnte ihre beiden Sitze, die sie seit 2007 (ZH) bzw. seit 2010 (UR) innehatte, verteidigen. Auch die BDP konnte ihr Berner Mandat, das sie seit 2008 dank der Abspaltung von der SVP besitzt, halten. Die Grünen konnten die Angriffe auf ihre beiden bei den letzten Wahlen erstmals gewonnenen Sitze in der kleinen Kammer ebenfalls abwehren. In den Ständerat gewählt wurde zudem der Schaffhauser Parteilose Thomas Minder, der sich als Initiant der Abzocker-Initiative einen Namen gemacht hatte und sich – nachdem er von der GLP eine Absage erhalten hatte – der Fraktion der SVP anschloss.

Die Wahlbeteiligung nahm gegenüber 2007 erneut leicht zu und lag bei 48.5 Prozent. Zwar ging damit immer noch mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten nicht an die Urnen, insgesamt hatten aber mit 2'485'403 Personen anzahlmässig noch nie so viele Schweizerinnen und Schweizer seit Beginn des Bundesstaates von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht wie 2011. Damit war die Wahlbeteiligung zum vierten Mal hintereinander (seit 1999) angestiegen; im Vergleich zu 2007 (48.3%) allerdings nur schwach. Die mittlere Wahlbeteiligung für die elf zweiten Wahlgänge für den Ständerat – zwei der total 13 zweiten Umgänge waren stille Bestätigungen – lag bei 43.8 Prozent. Dies war im Vergleich zur durchschnittlichen Wahlbeteiligung bei den zweiten Wahlgängen 2007, die in fünf Kantonen nötig waren, ebenfalls leicht höher (43.3%).

Das neue Parlament 2011

Der Altersschnitt im Nationalrat betrug nach den Wahlen rund 50 Jahre und war damit leicht tiefer als 2007 (51 Jahre). Der jüngste Nationalrat war der 24-jährige Mathias Reynard (sp, VS), Jacques Neirynck (cvp, VD) war mit 80 Jahren wie bereits vier Jahre zuvor der älteste Volksvertreter. Die kleine Kammer wies wie gewohnt einen höheren Altersschnitt auf. Das Durchschnittsalter betrug hier 55 Jahre. Auch im Ständerat fand eine geringfügige Verjüngung statt. Der jüngste Ständerat war der 32 jährige Raphaël Comte (fdp, NE). Hans Hess (fdp, OW), der den Kanton Obwalden seit 1998 im Ständerat vertrat, war das älteste Mitglied der kleinen Kammer (66 Jahre). Mit durchschnittlich 46 Jahren stellte die GLP die jüngste Fraktion. Am anderen Ende der Altersskala fand sich die BDP mit einem Altersdurchschnitt von rund 53 Jahren.

Mit den Sitzverschiebungen wurden auch zahlreiche neue Repräsentantinnen und Repräsentanten nach Bern gewählt. Auf 81 der insgesamt 246 Sitzen sassen Neugewählte. 38 zurückgetretene sowie 28 nicht wiedergewählte Nationalrätinnen und Nationalräte sowie zwölf zurückgetretene und drei nicht wiedergewählte Ständerätinnen und Ständeräte wurden ersetzt. Damit lag die Erneuerungsrate des Parlaments bei 33 Prozent und war wesentlich höher als noch 2007 (28%; 69 Neugewählte). In beiden Kammern wurde also rund ein Drittel des Personals ausgetauscht. Von den 15 neuen Ständeräten waren sieben vormals Nationalräte: Abate (fdp, TI), Bischof (cvp, SO), Bruderer (sp, AG), Häberli-Koller (cvp, TG), Rechsteiner (sp, SG), Stöckli (sp, BE) und Theiler (fdp, LU). Alle diese Werte lagen über dem langjährigen Durchschnitt: im Schnitt treten 40 National- und 12 Ständerätinnen und -räte zurück. Zusätzlich werden durchschnittlich 21 National- und drei Ständerätinnen und -räte nicht wiedergewählt und im Mittel wechseln fünf Nationalrätinnen und -räte in den Ständerat.

Die Wahlen 2011 kamen einer eigentlichen Flurbereinigung gleich. Noch nie seit der Einführung der Proporzwahlen 1919 kam es zu derart vielen Sitzverschiebungen. In allen Kantonen, mit Ausnahme von Uri, Basel-Landschaft und den beiden Appenzell, kam es zu Wechseln der Sitze zwischen den Parteien. Insgesamt wechselten 41 Sitze die Partei (Nationalrat: 33 Sitzwechsel; Ständerat: 8 Sitzwechsel). Zum Vergleich die Sitzwechsel in früheren Jahren: 1975: 16; 1979: 16; 1983: 16; 1987: 19.5; 1991: 29.5; 1995: 28; 1999: 28; 2003: 23; 2007: 22.

Im Aggregat wirkten sich diese Sitzwechsel für die SVP negativ aus. Die Volkspartei hielt in der Bundesversammlung noch 59 Sitze (Nationalrat: 54, Ständerat: 5), also zehn weniger als nach den Wahlen 2007, Sie blieb damit allerdings gezählt an den Mandaten im gesamten Parlament die stärkste Partei, jedoch nur noch mit knappem Vorsprung. Dank des Gewinns von insgesamt fünf Sitzen (drei im Nationalrat, zwei im Ständerat) folgt gleich dahinter die SP mit 57 Mandaten (Nationalrat: 46; Ständerat: 11). Die FDP (Nationalrat: 30; Ständerat: 11) und die CVP (Nationalrat: 28; Ständerat: 13) verfügen beide neu über je 41 Mandate. Die CVP verlor insgesamt fünf und die FDP sechs Mandate in der Bundesversammlung. Trotz des Verlustes von fünf Mandaten blieben die Grünen mit insgesamt 17 Mandaten fünftstärkste Kraft im Schweizer Parlament (Nationalrat: 15; Ständerat: 2). Die GLP mit 14 Mandaten (Nationalrat: 12; Ständerat: 2) und die BDP mit 10 Mandaten (Nationalrat: 9; Ständerat: 1) konnten beide im Vergleich zu 2007 zehn Mandate hinzu gewinnen. Die fünf Bundesratsparteien hielten damit zusammen 208 der 246 Sitze. Dieser nach wie vor hohe Anteil (84.5%) war im Vergleich zu 2007 (85.3%) und 2003 (88.2%) weiter rückläufig.

In den Medien wurde das Wahlresultat als Ende der Polarisierung und als Stärkung der (neuen) Mitte interpretiert. Allerdings sei es – so die Pressekommentare – schwierig, die neue Mitte zu fassen, die alles andere als ein monolithischer Block oder ein geeintes Zentrum sei, dafür aber zahlreiche neue Allianzen ermögliche, was für die anstehenden Probleme (Atomausstieg, Sozialstaat, Krankenkasse, Militärbeschaffungen) durchaus auch als positiv bewertet wurde, da Konsenspolitik wieder wichtiger werde. Erwartet wurde eine etwas grünere, wirtschaftsfreundlichere und reformfreudigere Politik.

Der Frauenanteil im gesamten Parlament betrug neu 27.2 Prozent. 67 der 246 Sitze in der Bundesversammlung wurden von Frauen besetzt. Zum ersten Mal seit 1971 war der Anteil weiblicher Volksvertreterinnen damit rückläufig. Fanden sich während der 48. Legislatur zwischenzeitlich 60 Frauen im Nationalrat, waren es nach den Wahlen nur noch 58. Der Krebsgang hinsichtlich der Frauenvertretung in der kleinen Kammer fand ebenfalls eine Fortsetzung. Neun der 46 Ständevertreter waren weiblich. Der höchste Frauenanteil im Ständerat wurde bei den Wahlen 2003 erreicht (11 Frauen). Der geringe Anteil weiblicher Abgeordneter ist vor allem den bürgerlichen Parteien und der SVP geschuldet. Bei der Volkspartei liegt der Frauenanteil nur gerade bei 10.2 Prozent (6 von total 59 Sitzen). Auch bei der BDP (20%; 2 von 10) und der FDP (22%; 9 von 41) erreicht der Anteil weiblicher Abgeordneter die 25 Prozent-Grenze nicht. Der Frauenanteil bei der CVP liegt bei 26.8 Prozent (11 von 41). Bei den Grünen (35.3%; 6 von 17) und der GLP (35.7%; 5 von 14) sind knapp ein Drittel der Abgeordneten Frauen. Als einzige Grosspartei weist die SP (43.9%; 25 von 57) einen Frauenanteil von über 40 Prozent auf. Während bei der Lega Geschlechterparität herrscht (eine Frau und ein Mann), sind die beiden EVP-Sitze beide von Frauen besetzt.

Am Ende des Jahres waren die Volks- und Kantonsvertreterinnen und -vertreter in sieben Fraktionen eingeteilt. Der SVP-Fraktion gehörten auch die beiden Vertreter der Lega sowie Thomas Minder an (62 Mitglieder). Die SP-Fraktion umfasste 57 Mitglieder. Der insgesamt 44 Mitglieder grossen CVP/EVP-Fraktion schloss sich neben den Vertreterinnen und Vertretern der beiden konfessionellen Parteien auch Vogler (csp, OW) an. Die FDP-Liberale Fraktion bestand aus 41 Ratsmitgliedern. Auch die Grünen (17 Mitglieder), die Grünliberalen (14 Mitglieder) und die BDP (10 Mitglieder) hatten Fraktionsstärke. Einzig Mauro Poggia (mcr, GE) wurde von keiner Fraktion aufgenommen.

Décision électorale et comportement électoral 2011 (Selects)

Seit 1995 werden im Rahmen von Selects (Swiss Electoral Studies) Wahlnachbefragungen bei zufällig ausgewählten Personen durchgeführt. Dies war auch 2011 der Fall. Mit diesen Befragungen kann unter anderem das individuelle Wahlverhalten und der Wahlentscheid analysiert und erklärt werden.

Hinsichtlich der Wahlbeteiligung zeigten sich keine Überraschungen: das Geschlecht, das Alter, der Bildungsstand und das Einkommen waren nach wie vor entscheidend dafür, ob jemand sein Wahlrecht wahrnahm oder nicht. Vereinfacht und plakativ ausgedrückt gingen ältere, reiche und gebildete Männer eher an die Urne als jüngere, ärmere und weniger gebildete Frauen. Im Vergleich zu den Wahlen von 1999, 2003 und 2007 konnte lediglich eine Verringerung des so genannten Gender Gaps beobachtet werden: Der Unterschied in der Beteiligung von Männern und Frauen wurde kleiner und betrug 2011 laut Selects noch 5 Prozentpunkte (2007: 12 Prozentpunkte). Dies war laut der Studie auf den Rückgang der Beteiligung junger Männer zurückzuführen.

Die Wählerinnen und Wähler der verschiedenen Parteien unterschieden sich hinsichtlich soziodemografischer Merkmale: Die Wählerschaft der Grünen war eher weiblich, während die SVP eher von Männern gewählt wurde. In den anderen Parteien gab es keine statistisch signifikanten Geschlechterunterschiede. Hinsichtlich des Alters schien es der SVP erneut gelungen zu sein, einen Grossteil der 18 bis 25-jährigen und überdurchschnittlich viele über 75-jährige Wählerinnen und Wähler anzusprechen. Die SP und die CVP waren in allen Altersgruppen durchschnittlich vertreten, allerdings nahm der Wähleranteil der SP bei den über 65-Jährigen ab. Diese Klientel war hingegen überdurchschnittlich in der Wählerschaft der FDP vertreten. Die Grünen waren bei der jüngsten Altersgruppe (unter 25 Jahre) besser vertreten als die GLP. Die Grünliberalen schienen aber die 25 bis 34-Jährigen etwas besser zu erreichen. Beide Parteien konnten die über 50-Jährige Wählerschaft praktisch nicht für sich gewinnen. Markant waren die Unterschiede auch hinsichtlich der Schulbildung. Die Wählerschaft der SVP besteht deutlich stärker aus Individuen ohne höhere Schulbildung. Die FDP, die SP, die Grünen und die GLP konnten hingegen vor allem Wählerinnen und Wähler mit höheren Bildungsabschlüssen für sich gewinnen. Der grösste Anteil der Wählerschaft mit hohem Einkommen fand sich bei der FDP. Wenig erstaunlich ist, dass die CVP vor allem von Katholiken gewählt wurde.

Die auf der Basis der Selects-Wahlnachbefragung berechneten Wählerverschiebungen zeigten, dass die BDP vor allem von ehemaligen SVP und FDP-Wählerinnen und Wählern gewählt wurde. Aber auch Personen, die angaben, 2007 SP gewählt zu haben, gaben ihre Stimme der BDP. Auch die GLP profitierte von ehemaligen SP- und FDP-Wählerinnen und Wählern. Zudem konnte sie Personen für sich gewinnen, die vormals die Grünen gewählt hatten. Ein hoher Anteil an Wechselwählerinnen war zudem von der SP hin zu den Grünen und umgekehrt zu beobachten. Besonders gut gelang es erneut der SVP, aber auch der CVP, ihre Wählerinnen und Wähler von 2007 wieder zu mobilisieren.

Im Rahmen der Selects-Nachwahlbefragung wurden die Befragten auch nach den brennendsten Problemen befragt. Es zeigte sich hier, dass die Konzentration der SVP-Kampagne auf das Thema Migration erneut Früchte trug. Wie bei jeden Wahlen seit 1999 wurde das Thema «Immigration und Ausländer» als wichtigstes Problem bezeichnet, allerdings weniger deutlich als noch in den Vorjahren. Wenig überraschend wurde dieses Thema von den SVP-Wählerinnen und Wählern als dringendstes Problem betrachtet. Allerdings bezeichnet auch die CVP-Wählerschaft die Lösung von Ausländer- und Asylfragen als vordringlich. Insgesamt an zweiter Stelle folgte das in den vorhergehenden Wahlen unbedeutende Wirtschaftsthema, das von der FDP-, der SP- und der BDP-Anhängerschaft als wichtigstes Problem betrachtet wurde. Ein Fukushima-Effekt war insofern noch vorhanden, als dass das Thema Umwelt, Energie und Klima immerhin als drittwichtigstes Problem genannt wurde. Die Anhängerinnen und Anhänger der GLP und der Grünen sahen hier das dringendste Problem. Die Wählerschaft der GPS zeigte sich zudem auffallend stark besorgt um die Beziehungen zum Ausland. Uneins waren sich die Befragten darüber, wer sich am meisten um die entsprechenden Problemthemen kümmert und die besten Lösungen dafür anbietet. Um die Migrationsfrage kümmere sich laut den Befragten die SVP (52% der Befragten gaben dies an), gefolgt von der SP (30%) am stärksten. Etwas mehr Befragte (30%) waren allerdings der Meinung, dass die SP die besseren Lösungen anbiete als die SVP (28%). Die Themenführerschaft bei der Energiepolitik wurde bei den Grünen (74%) und der GLP (14%) verortet. Die besten Lösungen erwarteten die Befragten ebenfalls von den Grünen (31%) aber auch von der GLP (22%). Die Fragen zu den Wahlkampfthemen zeigten insgesamt auf, dass sich die SVP mit Migrationspolitik, die SP mit Sozialpolitik und die GLP und die Grünen mit Umweltpolitik profilieren konnten. Weniger deutlich wurden die Mitteparteien als Themenführerinnen wahrgenommen. Die FDP wurde als kompetent in der Steuerpolitik betrachtet und die CVP konnte hinsichtlich der Sozialpolitik punkten. Praktisch mit keinem Thema verbunden wurde hingegen die BDP.

Schliesslich liess sich anhand der Studie eruieren, dass der Anteil brieflich Wählender weiter angewachsen war. Lediglich rund 22 Prozent der Befragten gaben an, am Wahlsonntag persönlich ins Stimmlokal gegangen zu sein. 1995 hatte dieser Anteil noch 62 Prozent (2007: 27%) betragen. Etwa 58 Prozent der brieflich Wählenden brachten die Wahlunterlagen wenige Tage vor dem Wahlgang zur Post. Nur 13 Prozent reichten die Unterlagen sofort nach Erhalt des Wahlmaterials ein.

Observation des élections de 2011 par l'OSCE

Wie schon 2007 weilte auch 2011 eine Delegation der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zwecks Beobachtung der Wahlen in der Schweiz. Die elf Beobachter, die vom 10. bis 28. Oktober in der Schweiz waren, stellten freie und aktive Kampagnen und professionelle und kompetente für die Wahlen zuständige Personen in den Kantonen fest. Kritisiert wurde die teilweise mangelhafte Sicherstellung des Wahlgeheimnisses, was allerdings aufgrund des hohen Vertrauens in die Behörden nicht gravierend sei. Zudem wurden die mangelnde Transparenz hinsichtlich Parteienfinanzierung sowie technische und rechtliche Mängel bei den elektronischen Wahlmöglichkeiten für Auslandschweizerinnen und -schweizer gerügt.